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Print ist nicht tot: Dieser Börsenhändler in Tokio informiert sich über die Entscheidung in Italien lieber analog als digital.

Foto: AP Photo/Andy Wong

Frankfurt/Tokio/Rom – Auf den Finanzmärkten ist das von einigen Experten erwartete Beben nach dem Scheitern der Verfassungsreform in Italien ausgeblieben. Nicht einmal der angekündigte Rücktritt von Ministerpräsident Matteo Renzi brachte die europäischen Aktienmärkte am Montag aus dem Tritt – sie legten sogar zu. "Es zeigt sich einmal mehr: Die Investoren ziehen die Gewissheit eines ungewünschten Ausgangs gegenüber der Unsicherheit vor der Wahl vor", sagte Portfoliomanager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners.

Alles in allem fiel die Reaktion an den Finanzmärkten deutlich verhaltener aus als zum Beispiel nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November oder dem Brexit-Votum in Großbritannien im Juni. Die Anleger scheinen sich bereits im Vorfeld auf eine Niederlage von Renzi eingestellt zu haben, kommentierten Marktbeobachter.

Stabiler Euro

Der Euro erholte sich von seinen anfänglich deutlichen Verlusten. In Reaktion auf den Ausgang der Abstimmung in Italien war die Gemeinschaftswährung zwischenzeitlich fast bis auf 1,0506 Dollar gefallen und damit auf den tiefsten Stand seit März 2015.

Nach dem Scheitern seiner Verfassungsreform hat der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi umgehend seinen Rücktritt angekündigt. Gleich darauf hatte der Euro seine Verluste etwas eingedämmt, da sich mit der Rücktrittsankündigung eine schnelle Entscheidung über Neuwahlen und damit kein langanhaltendes Machtvakuum andeutet.

Furcht vor Wiederaufflammen

Die europäische Gemeinschaftswährung steht wegen der Furcht vor einem Wiederaufflammen der Schuldenkrise in der Eurozone schon seit einiger Zeit unter Druck. Auf der anderen Seite konnten sogenannte sichere Anlageformen wie der japanische Yen oder der Schweizer Franken nur leicht zulegen. Der Goldpreis gab sogar leicht nach.

Auch auf den Aktienmärkten waren die Reaktionen moderat. In Tokio schloss der Nikkei-Index für 225 führende Werte um 0,82 Prozent tiefer. Trotz der negativen Asien-Vorgaben starteten die meisten europäischen Indizes mit Kursgewinnen in die Woche. Auch der Wiener Aktienmarkt hat den Handel am Montag mit freundlicher Tendenz begonnen.

Italiens Banken unter Druck

Auch der italienische Leitindex FTSE MIB drehte nach klaren Verlusten zur Eröffnung ins Plus. Unter Druck steht hingegen der Bankensektor. Schwere Kursverluste meldete die Bank-Austria-Mutter Unicredit. Montagfrüh fiel die Aktie um über vier Prozent.

Schwer traf es auch die Krisenbank Monte dei Paschi di Siena (MPS), die eine Kapitalaufstockung von fünf Milliarden Euro plant. Das MPS-Papier fiel um zehn Prozent und wurde vorübergehend vom Handel ausgesetzt. Laut einem Insider wird sich ein Bankenkonsortium im Laufe des Tages zu einer Krisensitzung treffen. Kommt Italien nach dem Rücktritt wegen der Niederlage beim Verfassungsreferendum wirtschaftlich ins Trudeln, könnte der Rettungsplan für die Krisenbank gefährdet sein, weil sich potenzielle Geldgeber zurückhalten.

Finanzminister geben Entwarnung

Nach Ansicht von Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat die abgelehnte Verfassungsreform keine direkten wirtschaftlichen Auswirkungen. "Das ist ein demokratischer Prozess und ändert weder die wirtschaftliche Situation noch die Lage in den Banken", sagte Dijsselbloem bei einem Treffen der Eurofinanzminister am Montag in Brüssel.

Auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht keine Gefahr für die Eurozone. "Es gibt keinen Grund, von einer Eurokrise zu reden", sagte Schäuble in Brüssel. Ähnlich äußerte sich Finanzminister Hans Jörg Schelinng (ÖVP).

Notenbankgouverneur Ewald Nowotny sagte am Montag auf Journalistenfragen, ein Ausstieg Italiens aus dem Euroraum sei auch nach dem "Nein" der Italiener zur Verfassungsreform kein Thema. "Ich sehe überhaupt kein Anzeichen in diese Richtung", so Nowotny. Ein solcher Schritte wäre auch "für alle Beteiligten eine extrem gefährliche Entwicklung".

Vorsichtige Ökonomen

Italien hat nach Griechenland die zweithöchste Verschuldungsquote – das Verhältnis der Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung – im Euroraum. Italiens Bankensektor kämpft zudem unter anderem mit einer großen Zahl an faulen beziehungsweise ausfallgefährdeten Krediten. Es rächt sich, dass die Banken ihre Probleme lange Zeit aufgeschoben haben. Der Internationale Währungsfonds schätzt das Gesamtvolumen in den Bilanzen auf 360 Milliarden Euro. Das entspricht rund 18 Prozent der ausgereichten Darlehen. Grund ist die wirtschaftliche Talfahrt des Landes.

Volkswirte großer europäischer Banken zeigten sich am Montag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters abwartend. Holger Sandte, Europa-Chefvolkswirt der schwedischen Nordea-Bank, sagte: "Nachdem Renzi das Land vorangebracht hat, ist nun erst einmal unklar, wie es weitergeht – Neuwahl oder nicht? Dieses Vakuum dauert hoffentlich nur kurz an. Auf den Finanzmärkten könnten italienische Bankaktien mehr leiden als Staatsanleihen. Italien ist aber nicht auf dem Weg aus der EU oder dem Euroraum."

Ganz ähnlich Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank: "Natürlich ist es tragisch, dass die Italiener die Chance vertan haben, sich einen effizienteren parlamentarischen Entscheidungsprozess zu geben. Aber das bedeutet nicht automatisch eine Euro-kritische Fünf-Sterne-Regierung und eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise."

"EZB-Sitzung kommt wie gerufen"

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der liechtensteinischen Privatbank VP: "Ich würde am heutigen Tag nicht das Wort Eurokrise in den Mund nehmen. Italien dürfte jetzt eine Technokraten-Regierung bekommen. Das muss nichts Schlechtes bedeuten. Übergangsregierungen in Europa haben manchmal mehr hinbekommen als reguläre Regierungen. Die Debatte über eine Absenkung der Anleihenkäufe durch die EZB dürfte nun erst einmal vom Tisch sein. EZB-Chef Draghi dürfte am Donnerstag signalisieren, dass das Kaufprogramm fortgesetzt wird. Es dürfte nachjustiert werden zugunsten von italienischen Staatsanleihen. Das dürfte diese stützen. Die EZB-Sitzung am Donnerstag kommt wie gerufen, um größere Schäden vor allem für italienischen Staatsanleihen zu verhindern." (APA, Reuters, 5.12.2016)