Da stehen Sie nun, die österreichischen "Möchtegern-Demagogen" aller Couleurs. Begierig und mit Akribie haben sie den US-Wahlkampf verfolgt, und nun wollen viele so sein wie Er. Nicht dauerhaft, nur kurz.

Endlich auch die korrekte Sprache sein lassen und frei heraussagen dürfen, was Sache ist. Keine Pointe auslassen. Das Recht, das Er sich nahm, sprachlich ergriff und verbal packte (engl. to grab), das möchten sie endlich auch haben. Sich nicht mehr um sprachliche Ethik oder gar um Differenziertheit kümmern, sondern einfach nur sagen, was ist.

Locker Room Talk

Kurz, undifferenziert und ohne mühsame Sprachkultur. Es lebe der "Locker Room Talk" auf Österreichisch! Die politische Sprache des Ressentiments wird kultiviert und, wenn es passt, auch ethnisiert. So richtig österreichisch auftrumpfen, die Stimmung der Masse über Stunden und Tage in sich aufnehmen und sie dann auf einmal sprachlich erbrechen. Jämmerliche Wahlkampf-Bulimie als Sprachhandlung.

Und die Welt wird sich in den kommenden Jahren noch zu wundern haben, welche der längst überwunden geglaubten Stereotype die amerikanische Regierung über sie stülpen wird. Generalisierungen werden nicht nur die lateinamerikanischen Staaten und die islamische Welt, sondern auch das gemächlich dahindämmernde Europa treffen. Klischees als US-Kulturexport mit semantischen Auf- und Überladungen, durchmischt mit erschreckenden Simplifikationen wie "clean coal" und wirtschaftlich-politischem Isolationismus wie "America first" werden teils kritisch, teils unkritisch von den globalen Medien vervielfältigt werden. Aus solchen US-Stereotypen könnten, wie schon oft in der jüngeren Geschichte, erneut verbal induzierte schwere Missverständnisse entstehen. Aus missglückten Sprechakten folgen Dissonanzen und diskursive Zusammenstöße, und aus diesen gehen oftmals unüberbrückbare, sich verfestigende Vorurteile hervor.

Feindbildrhetorik

Jene labilen geopolitischen Gleichgewichte, die mühsam und auf globaler Ebene stabilisiert wurden, könnten kippen; und nach einigen weiteren Stufen auf dem Sprachweg der diplomatischen Missverständnisse wäre es nicht verwunderlich, wenn plötzlich unüberbrückbare Provokationen im Raum stünden. Inmitten von eskalierender Feindbildrhetorik könnte jemand die Nerven verlieren und zu einer unüberlegten Tat schreiten, die dann als willkommener Vorwand diente, um gewaltvoll einzuschreiten. Und Vorwände liegen – nicht nur in Washington – zuhauf in vielen noch ungeöffneten Schubladen. Der behutsam eingeschlagene Entwicklungsweg hin zur Symmetrie weltweiter Verhältnisse der Anerkennung wäre um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Weiße Wutbürger

Identitätspopulistische (weiße) Positionen haben im US-Wahlkampf erschreckend hohe Resonanz gefunden und die kaum mehr an politische Partizipation glaubende Masse mobilisiert; enttäuschenderweise auch die Mehrheit der weißen Frauen, die lieber einen "weißen Wutbürger" als eine "Schwester" im Sinne des Feminismus wählten. Warum sollten diese Worst-Practice-Beispiele nicht auch in Europa forciert werden? Die politischen Eliten haben aufgrund von zu geringer konstruktiver Aktivität und Jahrzehnten der Entnahmen aus dem politischen System den Zorn der "abgehängten" Massen Europas auf sich gezogen.

Vor nur acht Jahrzehnten war die vermutlich wichtigste Massenbasis der NSDAP weder die Arbeiterschaft noch das christlichsoziale Lager, sondern das heterogene Kleinbürgertum, der deutsch-österreichische "white trash" der 1930er-Jahre, die unverschuldet zu gesellschaftlichen Verlierern gewordenen Millionen. Der Typus des deutschen Spitzenpolitikers der ersten Hälfte der 1930er-Jahre – ohne Kriegswahnsinn und ohne Holocaust – wäre heute mittels Twitter und Facebook wahrscheinlich wieder mehrheitsfähig, in Deutschland, Österreich, Ungarn, Frankreich, England und auch in den USA. Die Welt ist bereit für die neuen Demagogen des dritten Jahrtausends, welche die sprachlichen Verkürzungen der Social Media nützen, um ein neuartiges, digital gestütztes Narrativ auf Stammtischniveau zu etablieren.

Grassierender Rassismus

Europa zeigt in vielen seiner Staaten, wie geneigt es ist, solche Politgestalten bereitwillig zu empfangen. Rassismus grassiert und steuert als Fremdenhass vielerorts auf neue Höhepunkte zu. Mangels Umverteilung wachsen die sozialen Unterschiede, die Hassrede erhält immer weitere Nahrung, und politisch empathiegestörte populistische Parteien in Europa machen keine Zugewinne mehr, sondern Sprünge nach oben. Wind wird gesät.

Karl Marx analysierte 1852 in einer kleinen Schrift den Staatsstreich des Louis Bonaparte (Napoléon III.) in Frankreich zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Darin nahm Marx Bezug auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte und dessen Aussage, dass sich alle großen Ereignisse der Weltgeschichte wiederholten. Marx fügte lapidar hinzu, dass sich diese Wiederholungen das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce manifestierten. Die Geschichte wird weisen, ob die kommende US-Regierung ein Zeitalter der Tragödie oder der Farce repräsentiert haben wird. (Paul Sailer-Wlasits, 2.12.2016)