Eine in den vergangenen Wochen häufig genannte Erklärung für Donald Trumps Erfolg lautet, dass die Politik die ökonomisch und in ihrem Zugang zu Bildung weniger privilegierten Gesellschaftsmitglieder vergessen habe. Gemeint sind damit vor allem jene, die sich als Modernisierungsverlierer begreifen und sich nun durch ihr Wahlverhalten Aufmerksamkeit verschaffen.

Diese Erklärung ergänzt eine Reihe von Zeitdiagnosen, die eine fundamentale Spaltung der Gesellschaft entlang längst überwunden geglaubter Kriterien diagnostizieren. Und doch geht sie nicht weit genug. Der Blick sollte sich nicht nur auf die Spaltung richten, sondern auch darauf, wie diese Spaltung hervorgebracht und aufrechterhalten wird.

In den Fokus rücken damit die (wir?) Empörten selbst: jene vorwiegend Bildungsprivilegierten, deren Aufregung über Trump und Co von vielen nicht als Sorge, sondern als moralisierende Überheblichkeit wahrgenommen wird.

Wenn von Integration die Rede ist, dreht sich immer alles um "Personen mit Migrationshintergrund." Dabei rückt ein anderes Integrationsproblem völlig aus dem Blickfeld: nämlich die zunehmende Herausbildung von Parallelgesellschaften nach "Bildungshintergrund", die nicht nur die ökonomische, sondern auch die kulturelle Kluft zwischen Bildungsprivilegierten und weniger Gebildeten begünstigt.

Diese Kluft findet ihren stärksten Ausdruck in den jeweiligen Beziehungsnetzen, die sich vor allem durch soziale Homogenität auszeichnen: reale und zunehmend auch virtuelle "Echokammern", in denen die immergleichen Argumente und Erzählungen wiederholt werden und die Kluft zwischen "denen, die Hofer" und "denen, die Van der Bellen" wählen, stets vergrößert wird.

Unter sich bleiben

Die Tendenz, lieber unter sich zu bleiben, lässt sich tagtäglich beobachten, am Stammtisch ebenso wie auf Facebook, aber auch in institutionellen Kontexten: Das deutlichste Beispiel ist die öffentliche Schule im städtischen Raum. Viele Mittelschichteltern problematisieren den hohen Migrantenanteil, nicht minder herrscht aber Angst, ihr Kind müsse die Schulbank mit einem Kind teilen, das einen "anderen" Bildungshintergrund hat.

Diese in der Soziologie gut dokumentierte Abschottung der Mittelschicht steht allerdings im Widerspruch zur ebenfalls in dieser Gruppe hochgehaltenen Werthaltung einer Offenheit und Toleranz gegenüber "den anderen".

Offenheit und ihre Grenzen

Bildungsexpansion, Pluralisierung von Lebensstilen und das Narrativ vom "Ende der sozialen Klasse" haben uns glauben lassen, die noch von Pierre Bourdieu so eindringlich beschriebenen "feinen Unterschiede" seien nun endgültig weggewischt. Und tatsächlich besteht kein Zweifel, dass sich die Architektur sozialer Lagen so fundamental verschoben hat und die einst so zementierten Statusunterschiede im Alltag kaum noch sichtbar sind.

Eignete sich vor einigen Jahrzehnten ein elitärer Lebensstil zur Demonstration einer hohen sozialen Position, ist dieser Snobismus längst einer Haltung gewichen, die Aufgeschlossenheit, Toleranz und kosmopolitische Offenheit zu den Eckpfeilern einer neuen legitimen Ordnung ernennt. Besonders deutlich wird diese legitime Ordnung, wenn es um den Umgang mit dem/den "Fremden" geht. Diese positive Entwicklung täuscht aber darüber hinweg, dass kosmopolitische Offenheit nicht selten mit der Geringschätzung all jener einhergeht, die nicht so offen sind, und damit (unbeabsichtigt) jene Spaltung vorantreibt, die sie eigentlich für überwunden erklärt hat.

Offenheit ist nicht nur, aber auch das Resultat eines Zugangs zu bildungsspezifischen Ressourcen in unserer Gesellschaft und daher äußerst ungleich verteilt. Wer in den Genuss von "kosmopolitischem kulturellem Kapital" kommt, ist weder Zufall noch Eigenleistung, sondern auch ein Produkt spezifischer Sozialisationsbedingungen. Genau deshalb eignet sich die Geringschätzung jener, die als nicht so offen und aufgeschlossen gelten, als probates Distinktionsmittel und zugleich als effektive Strategie zur Absicherung der eigenen Statusposition.

Diese Geringschätzung findet ihren deutlichsten Ausdruck in der Empörung der Bildungsprivilegierten über das Wahlverhalten "der anderen". Als moralische Überheblichkeit ist sie maßgeblich mitverantwortlich für die diagnostizierte Spaltung der Gegenwartsgesellschaft.

Die Konsequenz aus diesen Einsichten ist gerade nicht die Verwässerung oder Aufgabe einer auf Toleranz und Aufgeschlossenheit beruhenden Werthaltung. Vielmehr muss darüber nachgedacht werden, wie es einer Gesellschaft gelingen kann, den Zugang zu und die Teilhabe an dieser Werthaltung für alle zu gewährleisten. Dazu muss aber zuvor jeglicher weiteren Verfestigung gesellschaftlicher Spaltung vehement entgegengetreten werden. Anstelle von Maßnahmen zur Verhinderung migrantischer Parallelwelten müssten wir alles daransetzen, die getrennten Räume vor allem bildungsspezifischer Homogenität aufzuweichen.

Mit anderen diskutieren

Eine Diskussion mit Andersdenkenden, so schwierig es auch fällt und so bequem es ist, einer solchen aus dem Weg zu gehen, könnte ein erster Schritt sein. Erst wenn die Bildungsprivilegierten auf Donald Trump nicht mit Empörung, sondern mit einem offenen Ohr und vielleicht sogar Empathie für die Anliegen seiner Wählerinnen und Wähler reagieren, kann umgekehrt erwartet werden, dass nicht rechtspopulistische Parolen, sondern das Werben für Toleranz auf fruchtbaren Boden trifft. (Michael Parzer, 30.11.2016)