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Der Axolotl ist der unbestrittene Regenerationsweltmeister unter den Wirbeltieren. Von der Erforschung seiner Fähigkeiten erhoffen sich Wissenschafter neue Erkenntnisse, die auch in der Medizin von Relevanz sind.

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Elly Tanaka verwendet neueste molekularbiologische Methoden, um den Fähigkeiten der Axolotln auf die Spur zu kommen.

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Die verschieden eingefärbten Zelltypen geben Einblicke in die komplexe Choreographie der Regeneration der Axolotl-Fingerspitzen.

Currie et al., Developmental Cell

Die neueste Arbeit von Tanakas Team war die Titelgeschichte des Fachmagazins "Developmental Cell". Man beachte die bunt eingefärbten Fingerspitzen.

Cover: Developmental Cell

Wien – Mittlerweile leben mehr dieser einzigartigen Tiere in Aquarien rund um den Planeten als in den Höhlenlabyrinthen am Rande von Mexiko-Stadt, ihrem angestammten Habitat. Trockenlegungen und Gifte aus der Landwirtschaft haben die Population der in freier Wildbahn lebenden Axolotl nachhaltig dezimiert. Und auch wenn man in den letzten Jahren etliche Schutzmaßnahmen ergriffen hat, steht Ambystoma mexicana auf der Roten Liste der gefährdeten Arten ganz weit oben.

Den seltsamen Kreaturen, die vermutlich seit rund 350 Millionen Jahren ohne allzu große Veränderungen existieren, setzt der Mensch freilich schon seit einigen Jahrhunderten zu: Die Azteken, die den Salamander nach ihrem Gott Xolotl benannten, waren vor allem am Fleisch der Tiere interessiert. Auf Märkten wurden die Schwanzlurche, die den Beinamen "essbare Käfer" erhielten, bis vor kurzem als Snack angeboten.

"Weltmeister unter den Wirbeltieren"

Im 19. Jahrhundert kam dann das Interesse der Wissenschaft am Axolotl dazu. Der Grund dafür ist einfach: Selbst ein ausgewachsenes Tier, das in etwa 25 Zentimeter lang wird, kann abgeschnittene Extremitäten, den kompletten Schwanz, ein verlorenes Auge, Teile des Herzens oder des Gehirns innerhalb weniger Wochen nachbilden. In den Worten von Elly Tanaka, einer der international führenden Axolotl-Forscherinnen: "Diese Salamander sind in Sachen Regeneration die Weltmeister unter den Wirbeltieren".

Der große deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt war der Erste, der die Tiere 1804 nach Europa importierte. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die verhältnismäßig leicht zu haltenden Axolotl zu einem der beliebtesten Versuchstiere in der Zoologie, wie der deutsche Wissenschaftshistoriker Christian Reiß (Uni Regensburg) kürzlich in einer preisgekrönten Dissertation rekonstruierte.

Auch in Wien wurde Anfang des 20. Jahrhunderts an den Amphibien geforscht, die anders als viele ihrer Verwandten ein Leben lang im Larvenstadium und im Wasser verharren und deshalb gewisserma-ßen "sexuell gereifte Kaulquappen" sind, wie es der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould formulierte. In der Biologischen Versuchsanstalt (BVA) im Prater, die 1938 durch die Nazis zerstört wurde, beschäftigten sich Forscher bereits vor mehr als 100 Jahren intensiv mit den Regenerationsfähigkeiten dieser und anderer Tiere und veröffentlichten darüber etliche Aufsätze.

Vertriebener Regenerationsforscher

Die besten Arbeiten stammten vom jungen jüdischen Biologen Paul Weiss, der in den 1920er-Jahren an der BVA über Regeneration und Transplantation bei Amphibien forschte. Er entwickelte dazu auch ein theoretisches Konzept, mit dem er sich 1926 habilitieren wollte. Doch dieser Karriereschritt wurde von antisemitischen Professoren der Uni Wien erfolgreich hintertrieben. Weiss emigrierte deshalb 1929 in die USA, wo er 50 Jahre später die National Medal of Science erhielt, die wichtigste Wissenschaftsauszeichnung des Landes (übrigens gemeinsam mit Richard Feynman). Sein Schüler Roger Sperry, der über Weiss' Theorie promovierte, gewann 1981 den Nobelpreis.

Fast 90 Jahre nach Weiss' Pionierarbeiten wird in Wien nun abermals an vorderster Front zu Regeneration geforscht. Das liegt daran, dass Elly Tanaka seit wenigen Wochen am Institut für molekulare Pathologie (IMP) tätig ist und sich bei ihrer Wahl für Wien gegen konkurrierende Top-Angebote aus den USA entschieden hat. Ihre Versuchstiere, Hunderte von Axolotl, sind zwar noch in Dresden, ihrer bisherigen Arbeitsstätte. Doch im Frühling soll der Umzug in das neue Institutsgebäude des IMP abgeschlossen sein, das im März eröffnet wird.

Die in den USA geborene Forscherin, deren Eltern aus Japan einwanderten, studierte und promovierte in den USA, war zuletzt acht Jahre lang Professorin an der TU Dresden und baute dort das Forschungszentrum und Exzellenzcluster für regenerative Therapien auf. In dieser Zeit hat sie mit ihrem Team das Wissen um die komplexen Prozesse der Axolotl-Selbstheilung maßgeblich erweitert.

Die 100-Millionen-Dollar-Frage

Um beim ganz Grundsätzlichen zu beginnen: Warum können ausgerechnet diese Tiere so gut regenerieren? "Das ist die 100-Millionen-Dollar-Frage", antwortet Tanaka und lacht. Wahrscheinlich hatten die meisten frühen Vierfüßer diese Fähigkeit, vermutet Tanaka. Denn auch viele andere Amphibien sind dazu in der Lage, wenn auch weniger gut.

Bei den mexikanischen Salamandern dürfte der ausgeprägte Kannibalismus eine wichtige Rolle gespielt haben, vermutet die Entwicklungsbiologin: "Das Nachwachsen von Gliedmaßen war wahrscheinlich ein entscheidender Selektionsvorteil." Dass die Axolotl im Laufe ihres langen Lebens – die Tiere werden bis zu 25 Jahre alt – in Larvenform verharren, sei hingegen nicht so entscheidend: Es gebe schließlich Amphibienarten, die auch nach der Metamorphose gut regenerieren könnten.

Sehr viel komplexer ist die Frage, wie das die mexikanischen Regenerationskünstler machen: Schließlich "wissen" die Axolotl-Zellen ganz genau, was an welcher Stelle und in welcher Form nachwachsen muss: also ob beispielsweise nur die abgetrennten Fingerspitzen ersetzt werden müssen oder die Hand oder gar ein ganzer Arm. Zudem regeneriert das entsprechende Glied oder Organteil in der genau richtigen Größe.

Komplizierte Choreografie der Zellen

Tanaka hat in den vergangenen Jahren etliche wichtige molekulare Schritte und Impulse in der komplizierten Choreografie der Zellen aufgeklärt. Das war nur unter Verwendung der neuesten Methoden möglich, die den Lebenswissenschaften zur Verfügung stehen, etwa das gezielte Ein- und Ausschalten von Genen oder das Einschleusen von Leuchtproteinen in Kombination mit avancierten bildgebenden Verfahren am lebenden Organismus.

In ihrer neusten Publikation, die in der Vorwoche im Fachblatt "Developmental Cell" erschienen ist, konnte Tanaka mittels solcher Einfärbungen zeigen, woher die Zellen kommen, aus denen das sogenannte Blastem gebildet wird. Das ist jener Zellverband, aus dem das fehlende Glied rekonstruiert wird. "Im Fall der Fingerspitzen stammen sie ganz aus der Nähe und sind gerade einmal 0,1 Millimeter von der Wunde entfernt", erklärt Tanaka. "Beim Oberarm sind es bis zu 0,5 Millimeter."

Zudem identifizierte ihr Team den Wachstumsfaktor PDGF-BB, der eine Rolle bei der Aktivierung und Migration der Zellen zur Wunde spielt und daher essenziell für die Bildung des Blastems ist. Bei dessen Zusammensetzung haben Tanaka und Kollegen mit einer überkommenen Hypothese aufgeräumt: Hatte man lange vermutete, dass dort Zellen zu pluripotenten Stammzellen verjüngt würden, gelang ihnen bereits 2009 in "Nature" der Nachweis, dass es sich bloß um Vorläuferzellen handelt, die beim Nachwachsen in den meisten Fällen auf ihre eigene Gewebeidentität beschränkt sind. Sprich: Muskelvorläuferzellen produzieren bei der Regeneration Muskelzellen, Hautzellen eher Hautzellen, Knochenzellen eher Knochenzellen.

Lektionen für den Menschen

Lässt sich von den einzigartigen Fähigkeiten der Axolotl auch etwas für den Menschen lernen, der bloß noch im Embryonalstadium Fehlendes ersetzen kann? "Ja", ist Tanaka überzeugt, die längst über die reine Regenerationsbiologie hinausdenkt und für ihre Forschungen Ansätze aus der Entwicklungsbiologie, der Zellbiologie, Evolutionsbiologie oder Genetik mit dem boomenden Feld der Stammzellbiologie kombiniert.

Bestimmte Formen von Stammzellen, die der Axolotl für die Regeneration einsetzt, seien auch im Muskelgewebe von Säugetieren vorhanden, so Tanaka. Diese hätten aber die Fähigkeit dazu im Laufe der Evolution verloren. "Womöglich lassen sich die Zellen auch in Säugetieren und damit auch in Menschen durch gezielte Signale wieder aktivieren." So könnte es etwa möglich werden, schlecht heilende Knochenbrüche durch solche Aktivierungen zum Heilen zu bringen.

Neben den hunderten Axolotl und Axolotl-Gewebekulturen arbeitet Tanakas Team – in Dresden waren es zuletzt zwei Dutzend junge Mitarbeiter – deshalb auch mit embryonalen Stammzellen von Mäusen und Menschen. Mit den Mäusestammzellen wird etwa an der Herstellung von dreidimensionalem Rückenmarksgewebe gearbeitet, das bei Axolotl ebenfalls perfekt nachwächst. "Bei Mäusen und anderen Säugetieren müssen wir wohl noch mit bioingenieurwissenschaftlichen Methoden nachhelfen." (Klaus Taschwer, 3.12.2016)