Gitarrentüftler Robert Fripp (2. v. re.) mit der 1974er-Inkarnation von King Crimson: u. a. mit John Wetton (2. v. li.) und Zauberschlagzeuger Bill Bruford (re.).

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Wien – Die Musik der Prog-Rock-Institution King Crimson komplex zu nennen gehört zu jener Sorte Untertreibungen, die man fahrlässig nennen muss. Seit 1968 existiert die Band von Gitarrist Robert Fripp im On/Off-Modus. Die Wurzeln von King Crimson liegen im Canterbury-Folk. Als 1969 In the Court of the Crimson King erschien, mussten die Uhren im Vereinigten Königreich neu gestellt werden.

Zartbittere Melodik schwebte auf schäfchenweichen Mellotron-Wolken. Vorher und nachher aber knallte Fripp der psychedelisch verträumten Weltjugend die denkbar härtesten Gitarrenriffs um die Ohren. Im Hause Crimson schien fortan nichts unmöglich. Komplizierteste Polyrhythmik wurde mit irrwitzigen Intervallsprüngen konfrontiert. Jazz, und zwar der vogelfreie, fand häufig genug Eingang in aparte Tongemälde voller bizarrer Klangtexturen. Skalenspiel? Kein Problem. Pentatonik? Aber bitte, sehr gerne!

Nach dem ersten Gipfelsturm mit Red (1974) ließ Fripp es erst einmal gut sein. Noch heute schwärmen die Jünger von der damaligen Besetzung: u. a. mit John Wetton (Bass, Gesang). Was die Kollegen von Yes oder ELP zeitgleich aufführten, wirkte dagegen wie gymnasialer Leistungssport. In zehn Minuten King Crimson steckte mehr Hyperaktivität, mehr modernes Formbewusstsein, mehr zähnefletschende Substanz als in vier Plattenseiten Tales from Topographic Oceans (Yes).

Die aktuelle Band blättert mit Vorliebe im Frühwerk. Heute sieht Fripp (70) wie ein Landlord aus. Wäre da nicht sein labyrinthisches Gitarrenspiel, er ginge glatt als Mitglied im Oberhaus Ihrer Majestät durch. Und so sind King Crimson vor allem famose Verwalter des eigenen Erbes. Mel Collins sorgt für das betörende Bläserspiel; Zweitgitarrist Jakko Jakszyk bemüht sich, so volltönend zu intonieren wie einst Greg Lake oder Wetton. Die Bühne ist verwirrend aufgebaut. Vorn an der Rampe haben drei Drummer ihre Schießbuden aufgebaut. Es poltert und zischelt, natürlich nur im (Gegen-)Metrum. Wahnsinn? Natürlich, aber der methodisch strengste. Die beiden Wien-Konzerte dürften ausverkauft sein. Aber vielleicht werden Tickets zurückgelegt. Als Ersatz empfiehlt sich die DGM-Livesite. (Ronald Pohl, 30.11.2016)