STANDARD: Wie entstehen Filterblasen?

Trilling: Der Gedanke hinter der Filterblasen-Theorie ist, dass Menschen vor allem geneigt sind, mit Menschen, die ihnen ähnlich sind, Kontakte zu pflegen. Das führt dazu, dass man zum Beispiel auf Facebook häufig Sachen zu sehen bekommt, die Freunde von einem teilen und die deswegen wahrscheinlich relativ in einer Linie sind mit dem, was man selber auch denkt. Dazu kommt, dass Facebook einem nicht alles zeigt, sondern eine gewisse Auswahl von möglichen Nachrichten – das ginge anders auch gar nicht, weil es sonst eine solche Flut wäre, dass man pro Sekunde mehrere Nachrichten zu sehen bekommen würde.

STANDARD: Was ist die Gefahr dabei?

Trilling: Diese Facebook-Algorithmen versuchen natürlich etwas zu selektieren, was der Nutzer auch selber interessant findet. Das birgt die Gefahr, dass man vor allem mit Dingen konfrontiert wird, die die eigene Auffassung bestätigen, und eher weniger mit der Gegenseite.

STANDARD: Was sind im Extremfall die Auswirkungen?

Trilling: Vor allem Polarisierung. Menschen könnten dadurch, dass sie immer und immer wieder in ihren Einstellungen bestätigt werden, letztendlich in ihren Auffassungen extremer werden. Das ist etwas, was man vor allem in Situationen sieht, in denen es zwei deutliche Alternativen gibt, zum Beispiel in den USA. Das ist in Mehrparteiensystemen schwieriger.

STANDARD: Im österreichischen Bundespräsidentschaftswahlkampf ist es also auch wahrscheinlicher, weil es zwei Kandidaten und weit auseinanderliegende Positionen gibt?

Trilling: Ich glaube in der Tat, dass es bei so etwas wie der Wahl in Österreich bei einem speziellen Thema mehr Einfluss hat als zum Beispiel bei einer Wahl, bei der es mehr Kandidaten gibt. Es ist nicht abzustreiten, dass dieser polarisierende Effekt besteht, und es lässt sich auch bei Experimenten gut zeigen, dass Leute letztendlich extremer werden, wenn sie immer wieder mit der eigenen Position konfrontiert werden, weil es zu einer gewissen Verzerrung des Meinungsklimas führt, weswegen man denkt, die ganze Welt würde mit einem übereinstimmen. Man kann diesen Effekt zeigen – die Frage ist, wie groß er eigentlich ist.

STANDARD: Was kritisieren Sie an der Filterblasen-Theorie?

Trilling: Man hat sehr große Fragezeichen hinter der Frage, ob diese Extremvariante wirklich auftritt. So gut wie niemand verlässt sich alleine auf ein oder zwei Medien. Das heißt, die Chance, dass jemand in einer komplett undurchlässigen Blase ist, ist doch eigentlich recht gering. Man ist vielleicht auf Facebook in gewisser Hinsicht in seiner eigenen Blase, die viele Informationen hervorhebt, die die eigene Meinung bestätigen. Aber das heißt nicht, dass man woanders, zum Beispiel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder im Gespräch mit Kollegen, nicht noch etwas von der Gegenseite zu hören bekommt.

STANDARD: Also eine Konfrontation mit der Gegenseite kann außerhalb Facebooks stattfinden – innerhalb ist es aber schwieriger?

Trilling: Eine sehr große Rolle spielen Medien außerhalb Facebooks, andererseits kann man selbst die Frage diskutieren, wie extrem es innerhalb Facebooks ist: Man weiß zwar aus der Soziologie, dass Leute sich vor allem mit Leuten befreunden oder Kontakt halten, die ihnen ähneln. Aber auf Facebook sieht man auch, dass viele es für mehrere Zwecke nutzen – man hat auch Kontakte zu Kollegen oder Menschen, die man noch aus der Schule kennt. Letztendlich ist auch die Annahme, dass jemand auf Facebook einen komplett homogenen Kontaktkreis hat, teilweise problematisch. Dieser Extremzustand tritt wahrscheinlich bei den meisten Menschen nicht auf.

STANDARD: Aber ist den Menschen bewusst, dass Facebook ihnen nur ausgewählte Informationen zeigt?

Trilling: Es scheint so zu sein, dass nicht alle Menschen das wissen. Wobei ich glaube, dass das Wissen inzwischen zunimmt, gerade im Zuge der Diskussionen über Privacy-Einstellungen. Viele denken aber zumindest nicht bewusst darüber nach.

STANDARD: Wenn den Menschen das nicht unbedingt immer klar ist, wer ist dann verantwortlich für die Filterblase?

Trilling: In gewisser Weise ist Facebook verantwortlich, weil Facebook letztendlich die Entscheidung trifft, wie und nach welchen Kriterien Dinge ausgewählt werden. Aber man macht es sich zu einfach, wenn man alles nur auf Facebook schiebt. Ich würde schon sagen, dass eine gewisse Medienkompetenz vorhanden sein muss. Wir machen Leute ja auch dafür verantwortlich, welche Fernsehprogramme sie sehen oder welche Zeitungen sie lesen – da gehen wir auch davon aus, dass sie bestimmte Ideen dazu haben. Das sollte hier nicht anders sein.

STANDARD: Sollte Facebook etwas an seiner derzeitigen Policy ändern?

Trilling: Ich denke schon. Ein Problem ist, dass Facebook in einer komischen Zwischenposition ist – auf der einen Seite ein technologisches Unternehmen, auf der anderen Seite übernimmt es eigentlich in der Art und Weise, wie es genutzt wird, de facto journalistische Funktionen. Aber es ist eben kein journalistisches Medium. Was sich an der Policy ändern muss, muss teilweise von Facebook selbst kommen, teilweise aber auch von der Gesellschaft. Wir brauchen eigentlich einen rechtlichen und normativen Rahmen, wie man mit solchen neuen Mittelsmännern umgehen muss, die eben keine Redaktion sind, aber auch kein komplett wertneutrales Technologieunternehmen.

STANDARD: Was müsste Facebook konkret tun?

Trilling: Ich habe keine abschließende Antwort, was hier die richtige Haltung wäre. Aber es muss damit anfangen, dass Facebook anerkennt, dass es sehr wohl eine Art von journalistischer Verantwortung hat.

STANDARD: Wäre es eine Möglichkeit, ähnlich wie auf Twitter und wie es früher auf Facebook war, nur den chronologischen Verlauf darzustellen?

Trilling: Twitter kann damit glaubhaft sagen, dass es sich um eine Art Durchreiche und nur um eine technische Plattform handelt, die Inhalte weiterschickt. Aber auch bei Twitter gibt es die Funktionen "Während du weg warst" und "Das könnte dich auch interessieren", also selbst da geht die Tendenz weg von purer Chronologie. Bei Facebook ist es unrealistisch, zu diesem Stadium zurückzukehren, weil Facebook auf eine andere Art genutzt wird. Wenn ich ein paar Tage nicht auf Twitter war, schaue ich nicht nach, was Freunde vorgestern gepostet haben. Es gibt andere soziale Praktiken in der Art, wie Facebook verglichen mit Twitter genutzt wird. Facebook hat viel mehr dieses Privatelement, zum Beispiel das Teilen von Lebensereignissen. Das spielt auf Twitter keine große Rolle, da geht es mehr um Informationsverbreitung. Facebook kann nicht wirklich zu dem Modell zurückkehren, alles zu zeigen. Das würde heißen, dass man eigentlich nichts mehr sieht, weil es so unglaublich viel ist, dass niemand dessen Herr werden könnte. Ich glaube, dass dann der Aufschrei viel größer wäre, weil Menschen sich darüber aufregen würden, etwas verpasst zu haben. (Noura Maan, 1.12.2016)