Kritisches Denken kommt zu kurz: Kritik an der Ausbildung künftiger Volkswirte und BWL-Studierender.

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Die Wirtschaftswissenschaft ist unter jungen Leuten beider Geschlechter noch immer die beliebteste Studienrichtung. Ob Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre oder ein FH-Studium mit wirtschaftlichem Schwerpunkt – für viele Studierende rührt die Wahl auch daher, dass die Karriereaussichten noch immer gut und breit sind, hier rekrutieren Unternehmen ihr zukünftiges Führungspersonal.

Veraltete Ansätze

Nicht wenige Studierende fühlen sich allerdings für das Leben nach der Uni nicht optimal vorbereitet: Vor zwei Jahren beklagten Studierende der Volkswirtschaftslehre aus 19 Ländern eine "besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre" – es mangle dem Fach an theoretischer und methodischer Vielfalt, an kritischen Debatten, an vielfältigen Studienplänen, die mehr abdecken als nur die Standardtheorien. Die Studenten verabschiedeten ein Manifest, renommierte Ökonomen solidarisierten sich öffentlich.

Kritik an der Volkswirtschaftslehre gibt es zwar schon länger – als Katalysator wirkte die Wirtschaftskrise. Sie ließ sich mit den an Unis gelehrten Erklärungsmodellen nicht vorhersagen, nicht erklären. "Die Wissenschaft ist zum Teil aber viel weiter, als es den Studenten erzählt wird, sagt Philip Plickert, promovierter Volkswirt, Wirtschaftsjournalist und Autor des kürzlich erschienenen Buches "Die VWL auf Sinnsuche". Warum den Studierenden veraltete Ansätze präsentiert werden? "Weil die so schön einfach sind", sagt Plickert zum STANDARD. "Das frustriert viele Studenten, wenn sie erst einmal etwas lernen, woran sie vielleicht zweifeln, was ihnen sehr verengt, einseitig, reduziert vorkommt."

Weg vom Homo oeconomicus

Es gelte an der Uni neue Ansätze, etwa der Verhaltenstheorie, aufzuzeigen. "Sie hat gezeigt, dass die Menschen sich teilweise ganz anders verhalten als der Homo oeconomicus. Reale Menschen sind nicht reine Egoisten, sondern haben auch soziale Präferenzen, und ihre Rationalität ist beschränkt." Auch wenn noch kein völlig neues, stimmiges Bild den alten Homo oeconomicus abgelöst habe, gebe es große Erkenntnisfortschritte.

Ebenfalls zu kurz komme momentan Wirtschaftsgeschichte. Ökonomen bräuchten aber "einen größeren Zeithorizont, der auch Krisen beinhaltet, um gewappnet zu sein", sagt Plickert. "Gewisse Prozesse wiederholen sich immer." Aus der Geschichte könnten angehende Ökonomen also viel lernen, sie mache das Studium interessant und Zusammenhänge leichter verständlich.

Zudem gelte es, Studierende wieder stärker zum Nachdenken zu ermutigen, findet Plickert. "Es wäre gut, wenn ein Dozent sagt: Übrigens, diese Annahmen sind gar nicht so realistisch, es gibt auch die ein oder andere Kritik daran." Kritisches Denken sei essenziell. "Denn ein Modell ist ja immer nur in bestimmten Kontexten gültig."

Mitbestimmung? Fehlanzeige

Kritik gibt es nicht nur an der Volkswirtschaftslehre: Mitbestimmung – in Form von Gewerkschaften und Interessenvertretungen – komme in der Ausbildung künftiger Manager fast nicht vor, zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung der Europäischen Akademie der Arbeit. Die Forscher schreiben von einem "blinden Fleck": Mitbestimmungsgremien würden als Rahmenbedingung vorgestellt, mit der sich das Management zu arrangieren hat. Gelegentlich würden solche Kontexte sogar als Störfaktor oder Hemmschuh dargestellt. Statt kollektiver Verhandlungen seien marktförmige Beziehungen zwischen Individuen vorgesehen.

Die Forscher sehen durch diese Lehrpläne das Demokratieverständnis Studierender in Gefahr: Befragungen würden zeigen, dass sich BWL-Studierende überdurchschnittlich häufig durch eine "distanzierte demokratische Grundhaltung" auszeichnen. Das Plädoyer der Wissenschafter deswegen: "Mitbestimmung als Element von Wirtschaftsdemokratie sollte vor dem Denken nach Kosten-Nutzen-Kalkülen stehen und nicht untergeordnet werden."

Wandel sei letztlich vielleicht auch einfach eine Frage der Zeit, meint Volkswirt Plickert. "Die meisten Professoren wurden vor 20 Jahren in ihren Ansichten geprägt. Bis eine neue Generation kommt, dauert es einfach." (lib, lhag, 29.11.2016)