Bild nicht mehr verfügbar.

Stefan Zweig (1881–1942) bei einem Empfang des brasilianischen Außenministers Macedo Soares (rechts).

Foto: akg-images/picturedesk.com

Die Einfahrt in die Guanabara-Bucht erlebten alle Immigrantinnen und Immigranten, die mit dem Schiff nach Brasilien kamen. Auch Stefan Zweig legte vor genau achtzig Jahren mit der Alcantara im Hafen von Rio de Janeiro an, ihn hat der Anblick der Stadt, die sich mit ihren Inseln, Hügeln und Buchten nach und nach vor einem ausbreitet, überwältigt. In seinem soeben erstmals in portugiesischer Übersetzung bei Versal Editores erschienen Buch"Kleine Reise nach Brasilien" ("Pequena viagem ao Brasil") schreibt er von einem einzigartigen Erlebnis.

Leben und Tod, Licht und Schatten liegen bei dem weltbekannten Wiener Schriftsteller, dessen Geburtstag sich heute, am 28. November, zum 135. Mal jährt, in Bezug auf Brasilien eng beieinander. Ehe er anschließend weiter zum Internationalen Kongress des Pen-Clubs in Buenos Aires weiterreiste, verbrachte er 1936 in Rio "zehn frenetische Tage", wie die Journalistin und Übersetzerin Kristina Michahelles in Rio sagt, die zahlreiche Werke Zweigs übersetzt hat. Der Schriftsteller lebte auf der Suche nach dem Schönen - vorübergehend sollte er dieses auch finden, wiewohl sein Exil später längst nicht so glücklich war wie der erste Aufenthalt. Sechs Jahre später, in der Nacht auf den 23. Februar 1942, nahm er sich im brasilianischen Petrópolis, der letzten Station seines Exils, gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte das Leben.

Intellektueller Reiseführer

"Abgesehen von der Ankunft vor 80 Jahren gibt es keinen besseren Moment für die Herausgabe von Zweigs ersten Reiseeindrücken in Brasilien", sagt Almerinda Stenzel, Leiterin der Bibliothek des Goethe-Instituts Rio, wo das Buch dieser Tage präsentiert wurde. Denn Wirtschaftskrisen und politische Instabilität beuteln das Land; der Teilstaat Rio de Janeiro hat wegen seiner angespannten Budgetlage sogar den Notstand erklärt.

"Kleine Reise nach Brasilien" ist kein politisches Buch, will es auch gar nicht sein, sondern ein intellektueller Reiseführer. Es widmet sich den sonnigen Seiten, den ersten, euphorischen Eindrücken, die Stefan Zweig in neun kurzen Texten wiedergibt – wie eben die Einfahrt in die Guanabara-Bucht.

Auf Einladung der brasilianischen Regierung residierte der 53-jährige österreichische Autor im Copacabana Palace, dem damals schicksten Hotel der Stadt. Das Besuchsprogramm, das die Gastgeber für den berühmten Schriftsteller aus Europa zusammengestellt hatten, reihte von Copacabana bis Corcovado ein Highlight an das andere. Alles, selbst der Aufstieg zur Favela, schien Zweig zu betören, auch wenn dies längst nicht der Wirklichkeit entsprach. Die Vorurteile waren damals noch viel größer als heute.

Fröhliche Feste

Trotz des heraufdräuenden Estado Novo des Diktators Getúlio Vargas idealisierte Stefan Zweig sein Gastland, das ihn aufnahm, als er vor dem nationalsozialistischen Wahnsinn und dem drohenden Zweiten Weltkrieg floh. Als der überzeugte Pazifist 1936 ankam, brannten bereits seine Bücher in Europa, der Spanische Bürgerkrieg war ausgebrochen. Wohl auch deshalb wollte er in Rio nur das wahrnehmen, was er in "Pequena viagem ao Brasil" beschreibt: fröhliche Feste, bunte Märkte, beeindruckende Landschaften.

In Petrópolis sollte er später "Die Welt von gestern" überarbeiten; hier schrieb er die "Schachnovelle" und einen Essay über Montaigne. "Dieser Mann war unglaublich produktiv", sagt Kristina Michahelles, Vorstandsmitglied der "Casa Stefan Zweig" (Zweigs Wohnhaus in Petrópolis beherbergt heute ein Zweig-Museum): "Es tauchen immer wieder neue Sachen auf."

So wurde im brasilianischen Nachlass ein Adressbuch mit 158 Namen aus seiner letzten Lebenszeit gefunden, Kristina Michahelles und Israel Beloch haben dieses bemerkenswerte Exildokument, eine Art Facebook jener Zeit, editiert und mit Texten und Kurzbiografien angereichert. Morgen, Dienstag, präsentieren die beiden Herausgeber das Buch "Stefan Zweig und sein Freundeskreis. Sein letztes Adressbuch 1940–1942" um 18.30 Uhr im Jüdischen Museum in Wien. (Martina Farmbauer aus Rio de Janeiro, 28.11.2016)