Der VfGH verschaffte den drei Nationalratspräsidenten (Norbert Hofer, Doris Bures, Karlheinz Kopf, v. li.) einen Nebenjob. Bis zur Angelobung des neuen Präsidenten haben sie das höchste Amt im Staate inne. Einer konnte schon mal zur Sicherheit für später üben.

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Politologe Manfried Welan: mit Interregnum zufrieden.

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Es war einer dieser Witze, die deswegen gelungen sind, weil die Geschichte auch sehr gut wahr sein könnte: Der Verein der Steirer in Wien bezieht die leerstehenden Räume in der Wiener Hofburg als neues Vereinslokal bis zur Angelobung des neuen Bundespräsidenten am 26. Jänner 2017. Wäre da nicht die Terminankündigung für die Schlüsselübergabe am 11. November um 11.11 Uhr und das "Augenzwinkern" in der Presseaussendung, dächte man: Warum nicht?

Schließlich hat die Republik Österreich seit 8. Juli dieses Jahres keinen Bundespräsidenten mehr – Heinz Fischers Amtszeit endete an diesem Tag. Doch es folgte ihm niemand nach. Fischer ging damals noch davon aus, dass sein Nachfolger am 2. Oktober gewählt würde, nachdem der Verfassungsgerichtshof die Stichwahl vom 22. Mai aufgehoben hatte. Durch die Verschiebung der Wiederholung auf den 4. Dezember wird Fischers ehemaliges Büro in der Hofburg bis Ende Jänner – und damit mehr als ein halbes Jahr – leergestanden sein.

Die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten üben seither die drei Präsidenten des Nationalrats aus: Doris Bures (SPÖ), Karlheinz Kopf (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ), nebenbei selbst Kandidat für das reguläre Präsidentenamt.

Sechsaugenprinzip

Was ändert sich dadurch für die Präsidentschaftskanzlei, den Apparat, der rund um das Staatsoberhaupt werkt? Gar nicht so viel, sagt Kanzleisprecherin Astrid Salmhofer zum STANDARD. Tatsächlich steht auch rein räumlich nur Fischers Büro leer, der Apparat rundherum ist intakt – und hat nun eben ein dreiköpfiges Kollegium statt eines gewählten Präsidenten als Chef. Eine politische Hydra, sozusagen.

Was wirklich Arbeit verursacht, passiert auch ohne Präsident. Mehr als 1000 Dokumente hat Doris Bures seit Heinz Fischers Pensionierung unterschrieben. Die Erste Nationalratspräsidentin tut das – als Ranghöchste – mit Stift auf Papier. Zuvor müssen sie selbst, Karlheinz Kopf und Norbert Hofer ihre Zustimmung per Mausklick abgeben oder eben nicht. Einzig das verfassungsmäßige Zustandekommen von Bundesgesetzen ließ Bures vom gesamten Präsidium nach dem Sechsaugenprinzip absegnen, weil sie damit ihre eigene Arbeit als Nationalratspräsidentin bestätigte.

Ansonsten unterschreibt Bures, wenn es unter den drei Ersatzpräsidenten eine Mehrheit gibt. Die braucht es nicht nur, um vom Parlament beschlossene Gesetze in Kraft zu setzen, sondern auch, um Staatsverträge zu unterzeichnen, Begnadigungen zu bestätigen, Vollmachten und Berufstitel zu vergeben, Schuldirektoren und Botschafter zu bestellen – oder den Urlaubsantrag von VfGH-Präsident Gerhart Holzinger zu bewilligen.

Die Kanzlei ist ein Amt

All diese Dokumente müssen freilich vorbereitet werden, bevor die Ersatzpräsidenten ihre Unterschrift daruntersetzen. Etwa 70 Mitarbeiter kümmern sich darum – ob nun ein Präsident da ist oder nicht. "Ob wir dem Bundespräsidenten zuliefern oder dem Nationalratspräsidium, ist egal", sagt Salmhofer. "Das ist ja ein Amt."

Anders als dieser Tage in den USA wird deshalb auch mit dem neuen Chef in der Hofburg kein Personalaustausch im großen Stil stattfinden: Persönliche und engste Mitarbeiter werde der neue Bundespräsident zwar ins neue Büro mitnehmen – das restliche Personal bestehe aber aus Vertragsbediensteten und Beamten und bleibe bestehen, sagt die Hofburg-Sprecherin.

Und wieder drängt sich eine Frage auf, wenn auch eine altbekannte. Wenn der Laden ohnehin auch ohne gewählten Präsidenten läuft und seine Vertretung lediglich Dokumente im Akkord unterzeichnet, braucht die Republik dann überhaupt einen Bundespräsidenten? "Ich glaube, da ist er niemandem besonders abgegangen", antwortete sogar Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen vergangene Woche in der "ZiB 2" auf die Frage, wann ihm der Bundespräsident in den letzten vier Monaten gefehlt habe.

Irgendein repräsentatives Amt als "Gesicht" des Staates gebe es aber in allen europäischen Staaten, sagte der Kandidat, weshalb es wohl gescheit sei, dass es die Position gibt. Darüber solle aber bitte schön das Parlament entscheiden. Eine brennende Verteidigung des Amtes klingt anders.

Der Präsident als Kompromiss

Der Politikwissenschafter Manfried Welan gehört seit Jahrzehnten zu jenen, die die Notwendigkeit des Bundespräsidentenamtes infrage stellen. "Es besteht ein Widerspruch zwischen Parlamentarismus und Präsidialismus", sagt er. Der Bundespräsident sitze hier zwischen den Stühlen zweier Staatsformen. "Er ist ein Kompromiss."

So gesehen hat die Übernahme der wichtigsten Funktionen des Präsidenten durch das Nationalratspräsidium das Gleichgewicht im Staate zugunsten des Parlaments verlagert: Seit Juli ist die Macht an der Spitze des Staates so verteilt, wie es sich die roten Republiksgründer gewünscht haben. Diese Variante als Dauerlösung ist eine, die Welan wissenschaftlich diskutierte.

Nach vier Monaten Ersatzpräsidentschaft zitiert er Nestroy: "Die Wirklichkeit ist der beste Beweis für die Möglichkeit.' Das ist hier wirklich der Fall gewesen." Das Interregnum der Nationalratspräsidenten bewertet er als "gut und völlig der Funktion entsprechend".

Damit hat Doris Bures ihr Ziel zumindest bei einem Staatsbürger erreicht. "Ich möchte", sagt sie zum STANDARD, "dass man nach dem 26. Jänner sagt: Gut dass wir jetzt wieder einen Bundespräsidenten haben, aber die notwendigen Aufgaben wurden auch verfassungskonform erledigt." Das Kippen in Richtung Parlamentarismus müsste sie als Parlamentarierin doch freuen? "Nein, weil ich glaube, dass es gute Gründe hat, dass die politische Machtverteilung auf drei Säulen steht", sagt Bures.

Gerade das Zusammenwirken von Präsident, Parlament und Regierung und ihre wechselseitige Kontrolle sorge erst für ein "Gleichgewicht im Staat". Persönlich bedeutet das Interregnum für Bures freilich einen übervollen Kalender, "da hatte der Tag schon mal zu wenige Stunden", auch wenn sie sich darauf konzentriert habe, "die zwingend erforderlichen Geschäfte zu erledigen und Repräsentationsaufgaben nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zu übernehmen".

Repräsentationsaufgaben

Dass die Repräsentationsaufgaben des Staatsoberhaupts in der Zwischenzeit liegengeblieben sind, bereitet Politikwissenschafter Welan keine großen Sorgen, denn jeder repräsentiere heutzutage – bis hinunter zum Bürgermeister. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen findet Welan auf lange Sicht vernachlässigbar. "Die Wirtschaft erfüllt sich immer ihre Forderungen", selbst wenn es keinen Präsidenten gebe, der Wirtschaftsdelegationen anführt: "Es würden andere Wege gewählt werden."

Es sei jetzt aber nicht der richtige Zeitpunkt, um über die Abschaffung des Amtes zu diskutieren, schränkt Welan ein. "Ich bin etwas zurückhaltend geworden mit der Forderung nach der Abschaffung des Bundespräsidenten, weil es in allen 27 EU-Staaten ein Staatsoberhaupt gibt – wenn keinen Präsidenten, dann einen Monarchen."

Doch braucht es für die Bewilligung höchstrichterlicher Urlaube tatsächlich ein mit absoluter Mehrheit gewähltes Staatsoberhaupt? Bures kennt die Diskussion. Es sei gerechtfertigt, darüber nachzudenken, "ob die Kompetenzen aus der Verfassung 1929 noch zeitgemäß sind", das solle aber im dafür eingerichteten Parlamentsausschuss stattfinden – und nachdem der nächste Präsident gewählt ist. "Das ist eine Frage, die man nicht in einem Wahlkampf diskutieren soll", befindet Bures.

"Es gibt sicherlich Dinge, die man vereinfachen kann", sagt Politikwissenschafter Welan dazu, darüber solle man nachdenken. "Da kann Altbundespräsident Heinz Fischer Ezzes geben, was notwendig und was weniger notwendig ist." (Sebastian Fellner, 27.11.2016)