OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher weist die Kritik am Ausbau der Ganztagsschule zurück.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wien – "Das ist hinausgeworfenes Geld": Scharf kritisierte Stefan Hopmann, Professor für Bildungswissenschaft an der Uni Wien, die Pläne zum Ausbau der Ganztagsschule. Statt gezielt zu fördern, verteile die Bundesregierung das Geld mit der Gießkanne, sagte der Experte im STANDARD-Interview, Kindern aus sozial schwachen Familien würden auf diese Weise nicht profitieren: "Es gibt keinen messbaren Nachweis, dass die Ganztagsschule die Chancengleichheit fördert."

Bessere Ergebnisse

Nun kommt Widerspruch von prominenter Seite. "Diese Einschätzung verwundert mich, ich teile sie absolut nicht", sagt Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der OECD, "denn unsere Erkenntnisse zeigen eindeutig, dass die Ganztagsschule eine wichtige Voraussetzung für bessere Ergebnisse ist." Dies lasse sich sowohl aus der internationalen Pisa-Studie als auch aus vielen nationalen Untersuchungen herauslesen: "Sie finden im internationalen Vergleich kaum ein System mit Spitzenleistungen, das nicht auf die Ganztagsschule setzt."

Für Schülerinnen und Schüler "aus einem ungünstigen sozialen Umfeld" seien die Auswirkungen besonders positiv, analysiert Schleicher. Wenn Kinder zuhause nicht die nötige Unterstützung bekommen, biete die Ganztagsschule weitaus bessere Möglichkeiten, dies auszugleichen – selbst dann, wenn die Unterrichtszeit nicht länger als in der Halbtagsvariante ist: "Kinder mit Lernschwierigkeiten können zusätzlich gefördert werden, aber auch voneinander lernen. Dafür gibt es in diesen Modellen viel mehr Raum."

Auch Talente fördern

Davon profitierten nicht nur Schüler mit Defiziten, "auch Talente werden gefördert", sagt der OECD-Experte: "Ganztagsschulen können das Bildungssystem insgesamt leistungsfähiger machen."

Allerdings sei mehr verfügbare Zeit zwar eine notwendige Voraussetzung, aber alleine noch keine Erfolgsgarantie: "Die Frage ist, wie die Zeit genutzt wird. Die Qualität muss stimmen." Das Um und Auf sei ein "verschränktes Modell", bei dem sich Unterrichts-, Lern- und Freizeit über Tag hinweg abwechseln, sagt Schleicher, nur so sei ein kohärenter Bildungsplan für alle Schüler gewährleistet. Als Vorbild nennt er das kreative Modell Finnlands, wo 30 Prozent des gesamten Unterrichtsangebots außerhalb der Klassen geleistet werde.

"Kein glücklicher Ansatz"

Ist Österreich mit dem neuen Ausbauplan für die Ganztagsschule auf dem gleichen Weg? Schleicher zweifelt daran, zumal das heimische Modell "Wahlfreiheit" vorsieht: Schulen können sich für eine verschränkte Ganztagsschule entscheiden, aber auch für die Variante mit Unterricht am Vormittag und Betreuung ohne Anwesenheitspflicht am Nachmittag. "Das ist kein glücklicher Ansatz", sagt Schleicher: "Man wird sehen, was da von einer echten Ganztagsschule übrig bleibt."

Dabei stehe Österreich steht vor großen Herausforderungen. Das heimische Bildungssystem biete Kinder aus sozial schwachen Familien nicht nur zu wenige Chancen, auch insgesamt stünden "die relativ hohen Kosten in keinem guten Verhältnis zum Ertrag", urteilt der Experte: "Ein Bildungssystem muss so gut sein, wie es teuer ist."

Den Aussagen Hopmanns widerspricht auch Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) – nicht nur inhaltlich: Dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse in den Wind geschlagen habe, weil ihr diese "egal" seien, sei eine unwahre Unterstellung. (Gerald John, 25.11.2016)