Nach Luzern reist man, um das fast schon kitschige Setting der Kapellbrücke über den Vierwaldstättersee zu sehen. Dabei ist Stadt in der Zentralschweiz eine echte Metropole für Verehrer von Pablo Picasso und Paul Klee. Die Galeristin Angela Rosengart hat sie dazu gemacht.

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Die Galeristin Angela Rosengart mit Pablo Picasso 1963.

Foto: Museum Sammlung Rosengart Luzern

Panorama von Luzern

Foto: Luzern Tourismus

Angela Rosengart, 1,65 Meter groß, zierliche Gestalt und vermutlich federleicht, ist das Schwergewicht der Luzerner Kunstszene. Als Tochter des Galeristen Siegfried Rosengart lernte sie in jungen Jahren Pablo Picasso, Marc Chagall und Henri Matisse kennen. Jahrelang hat sie in ihrem Wohnzimmer unter einem riesigen Picasso-Gemälde gesessen, "weil das damals niemand haben wollte". Fünf Mal hat der berühmte spanische Maler sie gezeichnet, was lange Zeit kaum jemand wusste. Und nun hat sie die Kunst aus dem Privatbesitz der Familie – Klee, Matisse, Miró, Monet, Cezanne, Picasso – in einem der besten Museen der Stadt zusammengetragen: in der Sammlung Rosengart gleich neben dem Luzerner Bahnhof.

Wer Angela Rosengart trifft, sieht sofort, dass die 84-Jährige kein bisschen nach ihrem Alter aussieht, höchstens, aber wirklich keinen Monat mehr, nach einer fitten 65-Jährigen. Es mag an den Bewegungsroutinen liegen, die ihr Leben strukturieren. Jedes Jahr fliegt sie zwei Mal zu den großen Auktionen nach London und New York, um sich darüber zu informieren, was auf dem Kunstmarkt passiert. Jeden Morgen macht sie 20 Minuten Gymnastik, "nie abstützen, immer selbst wieder auf die Beine kommen", um den Körper in Schwung zu halten.

Jeden Tag geht sie die 20 Minuten von ihrer Wohnung auf der anderen Seite des Vierwaldstättersees hinüber zum Gebäude der Sammlung, um Frischluft zu atmen. Vorbei an den Uhrengeschäften am Schwanenplatz, wo die asiatischen Touristen sackerlweise einkaufen, und die Wehrbefestigung der Kapellbrücke entlang, aus der ein überdachter Steg mit hunderten Blumentöpfen geworden ist.

Auf den ersten Blick

Im großen Saal der Sammlung vor fünf großformatigen Picassos, vor seinen typischen Augenpaaren, die gleichzeitig an- und wegblicken, setzt sich Frau Rosengart auf ein Sofa. Besucher murmeln verschwörerisch, "das ist sie!", während Rosengart über das Verhältnis von Luzern und Kunst spricht. Das war keine Liebesbeziehung auf den ersten Blick.

Als Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Alpenwanderer kamen, boomte das verschlafene Luzern. Bettenburgen entstanden, ein Grand Hotel neben dem anderen eröffnete, Queen Victoria verbrachte einen Sommer hier, Wagner blieb gleich ein paar Jahre, und die Luzerner erzählen noch heute stolz davon, dass es Direktzüge nach Paris und Oostende, wo die Kanalfähren aus England anlandeten, gab. Heute ist der Interregio zum Zürcher Flughafen die wichtigste Verbindung.

Wo Geld aus den Taschen quillt, bleibt oft etwas für die Kunst hängen. Siegfried Rosengart, den Picasso nur "Rosong-gaard" nannte, eröffnete in den 1920er-Jahren seine Galerie, in der er für die begüterten Sommerfrischler die Meister der klassischen Moderne verkaufte. "Mein Vater hat immer gesagt: Wenn ich von den Luzernern hätte leben müssen, wäre ich verhungert", erinnert sich seine Tochter.

Erfolgreich ignoriert

In der Galerie gleich gegenüber dem Hotel National kehrten früher die amerikanischen und deutschen Sammler ein, es kamen ein paar Studenten aus der örtlichen Kunstgewerbeschule – aber ein breites Lokalpublikum? Das fehlt. Des Alten Devise: "Ich mache keine Vernissage, weil die Leute dann nur kommen, um ihren Champagner zu trinken." Man kann schon sagen, dass die Stadt und die Galerie sich ein paar Jahrzehnte erfolgreich ignoriert haben.

Angela Rosengart leitete ab 1957 die Galerie mit, gemeinsam mit ihrem Vater besuchte sie die Künstler: Im nicht so geschäftigen Winterhalbjahr reisten sie hinunter nach Südfrankreich, wo viele ihrer Künstler lebten, oder nach Paris, was damals als die Kunsthauptstadt galt. Und nach Luzern? Kam mal Chagall, auch Oskar Kokoschka, Picasso nie. Man ging mit den Besuchern ins Konzert ins Festspielhaus, durch die Kopfsteingassen der Altstadt, und natürlich: "Gut essen, das war immer sehr wichtig." Im "Old Swiss House", das es heute noch gibt, gab es die feinsten Wiener Schnitzel der Stadt.

Kunst in unserer Mitte

Der Vater verstarb 1985, drei Jahre später organisierte die Tochter eine Ausstellung, auf der sie Bilder zeigte, die von der Galerie vermittelt worden waren. Plötzlich bemerkten die Luzerner: Moment einmal, da gibt es in unserer Mitte eine Kunst-Connection von Weltrang! Norman Rockefeller kaufte hier einen Paul Klee, den er dem Museum of Modern Art in New York spendierte. Peter Ludwig baute unter anderem mit Werken aus der Galerie Rosengart sein berühmtes Museum in Köln auf.

Und dann gab es ja noch die Sammlung der Familie. Das mag man sich gar nicht vorstellen können, aber 1969 lief eine Picasso-Ausstellung in Luzern so mies, dass die Rosengarts auf den Bildern sitzen blieben und sie in die eigene Wohnung hängten. 30 Jahre später flatterten millionenschwere Kaufangebote ins Haus, doch Angela Rosengart reagierte mit eisernem Stolz. Was sie einmal in die Sammlung aufnahm, wurde nicht mehr veräußert. Galeristenehrenwort.

Kasten des Neoklassizismus

Aus dieser Sammlung, für die nun die Wohnung zu klein wurde, entstand die Idee des Museums. Im ehemaligen Regionalsitz der Schweizer Nationalbank, einem weiß getünchten Kasten des Neoklassizismus, eröffnete sie im März 2002 die Ausstellung. Sie ist chronologisch sortiert: In der ersten Etage gibt es Werke des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, im Erdgeschoss hängen über 40 Werke Picassos und im ehemaligen Tresorraum im Keller 125 Arbeiten von Paul Klee. "Für mich war klar, dass die Sammlung in Luzern zu sehen sein musste", sagt Angela Rosengart.

In der ersten Etage der Stiftung hängen persönliche Fotografien der Familie Picasso. Kurios, wie klein von Wuchs der große Künstler war. 1,55 Meter, sagt Angela Rosengart, gegen diesen Glatzkopf erscheint sie auf einem Bild wie eine lachende Riesin.

Paul Klee im Keller

Im Keller erzählt sie von der ersten Ausstellung, an der sie als 16-Jährige mitarbeitete: eine Nachkriegsausstellung von Paul Klee. Selbst die günstigen Großformate für 6000 Franken konnten die Rosengarts damals nicht verkaufen. Vor fünf Jahren wechselte in London ein Klee-Gemälde für 4,5 Millionen Pfund den Besitzer.

"Die Farben, die Poesie, der Witz, diese entzückenden Titel", schwärmt die alte Dame wie ein junges Mädchen über den Schweizer Maler. Tatsächlich ist die Begeisterung für ihn eine ihrer frühen Passionen. Das erste selbsterworbene Bild war die Zeichnung "X-chen", ein lustiges Strichmännchen, mit 16 Jahren eben 1948 gekauft, vom ersten Gehalt als Lehrling beim Vater.

Aber natürlich kommen viele der Gäste aus Singapur, den USA, Deutschland und, ja, aus Luzern hierher, um die fünf Bilder zu sehen, die Picasso von Angela Rosengart gemacht hat. Es begann 1954, als sie mal wieder mit ihrem Vater in Südfrankreich war, durch das Dorf Vallauris spazierte, vorbei an den Töpfereien, wo auch Picasso gern arbeitete. Ein Geplänkel mit dem Vater, dann ein Angebot, das wie eine Anweisung klang: Kommen Sie morgen vorbei, ich mache ein Porträt von Ihnen! "Das lehnt man nicht ab", sagt Angela Rosengart.

Teures Wiener Schnitzel

Bis auf die erste Zeichnung, wo sie eine Dauerwelle trug, erkennt man auf den Bildern die Konstante eines Berufslebens: den strengen Mini-Dutt. Ihren "chignon", wie sie die Frisur nennt, trägt sie bis heute. Sie ist ihr Markenzeichen geworden, wenn sie durch Luzern geht. Manchmal erkennen sie Menschen und nicken ihr freundlich zu: auf der Straße, im Bus, im Restaurant. Auch im "Old Swiss House"? Da wird sie plötzlich zur sparsamen Schweizerin: "Nein, zu teuer. Das Wiener Schnitzel kostet irgendwas um die 60 Franken." Das muss man sich mal vorstellen: Eine Frau, die Millionenwerte an Bildern hat, wird beim Essen knauserig. Lieber geht sie in den "Rebstock" oder den "Luzerner Hof", in Letzterem übrigens hat sie neulich ein "köstliches Hirschragout" gegessen.

Nach beinahe 90 Minuten kommt Angela Rosengart zu den Fotos in der ersten Etage, die unzählige Visiten beim spanischen Künstler dokumentieren. Der letzte Besuch im Herbst 1972, Pablo Picasso trägt einen gelben Pullover. "Er wirkte so lebhaft, dass wir natürlich ‚Auf Wiedersehen’ sagten und glaubten, uns im Frühjahr wieder zu sehen", erzählt Angela Rosengart. Picasso bekam im März 1973 eine Grippe, er starb als Hochleistungskünstler im Alter von 91 Jahren. Einen wichtigen Teil seines Lebens hat Angela Rosengart in Luzern konserviert. (Ulf Lippitz, 2.12.2016)