Screenshot: Zorin OS 12
Screenshot: Zorin OS 12
Screenshot: Zorin OS 12

Die Schlagzeilen für Windows 10 waren in den vergangenen Monaten längst nicht immer positiv. Fehlerhafte Updates machten vielen Nutzern das Leben schwer und sorgten für Ärgernisse bis hin zu Bluescreens und Startverweigerung. Die tiefe Integration einiger Microsoft-Services, darunter auch Sprachassistentin Cortana oder die Erfassung des Nutzerverhaltens für Optimierungszwecke haben dem System auch immer wieder Kritik von Datenschützern beschert.

Dazu kommt, dass das für alle Besitzer von Windows 7 und 8.1 ein Jahr lang kostenlos zur Verfügung stehende Upgrade nach dem Aufspielen längst nicht immer reibungslos laufen wollte. Und dann gibt es noch die Nutzer von Vista und dem schon länger nicht mehr mit Sicherheitsupdates unterstützten Windows XP, denen ein günstiger Upgradepfad fehlt.

Wer sich mit Windows 10 nicht anfreunden kann oder mag und trotzdem ein aktuelles Betriebssystem verwenden möchte, kann sich den Umstieg auf eine Linux-Distribution überlegen. Eine, die seit Jahren vor allem auf Windows-Nutzer abzielt, ist Zorin OS. Der WebStandard hat sich das System in einem Kurztest angesehen.

Screenshot: Zorin OS 12

Technisches

Vorweg: Zorin OS in der kürzlich erschienen Version 12 ist ein Derivat von Ubuntu in der LTS-Version 16.04 "Xenial Xerus". Unter der Haube nimmt es damit alle Stärken und Schwächen der Entwicklung von Canonical mit. Ebenso bedient es sich in seinem Softwaremanager auch am gleichen Programmangebot. Zugrunde liegt der Linux-Kernel 4.4, der im vergangenen Jänner releast wurde und über deutlich vergrößerte Hardwareunterstützung verfügt.

Die Systemoberfläche fußt auf der Gnome 3-Shell. Sie nennt sich Zorin Desktop 2.0 und ist, ziemlich offensichtlich, der Ästhetik und vor allem Bedienlogik von Windows nachempfunden. Das Standard-Iconset erinnert wiederum etwas an das "Material" Design, das Google seinem Android-System seit Version 5 verpasst hat. Zorin OS wurde in der kostenlosen "Core"-Edition auf einer virtuellen Maschine (konfiguriert analog zu einem älteren Rechner mit Quadcore-CPU, vier GB RAM und Onboardgrafikkarte) getestet.

Es gibt auch eine "Ultimate"-Edition, die für 15 Euro angeboten wird. Sie bringt weitere vorinstallierte "Business Apps", 20 statt sechs Games, zusätzliche Desktop-Layouts (unter anderem angelehnt an "Unity" von Ubuntu sowie der Oberfläche von macOS), Video-Wallpaper und Direktsupport von den Entwicklern mit.

Screenshot: Zorin OS 12

Perspektive des Tests

Der Fokus in diesem Test liegt auf der Verwendbarkeit des Betriebssystems für Nutzer, die von einer der letzten Windows-Versionen umsteigen und somit keine oder kaum Erfahrung mit Linux mitbringen. Die Neuerungen in Ubuntu 16.04 selber wurden bereits im WebStandard-Test im vergangenen April besprochen.

Simple Installation

Die Installation von Zorin OS 12 geht leicht von der Hand. Die Anforderungen an den Nutzer sind prinzipiell die gleichen, die auch für eine Windows-Installation gelten. Das in Form eines ISO-Images vorliegende System muss entweder auf eine DVD gebrannt oder einen USB-Stick aufgespielt werden. Bootet man dann vom jeweiligen Datenträger, kann man das System entweder direkt von diesem ausprobieren oder eben die Installation vornehmen.

Die Einrichtung beschränkt sich auf Grundsätzlichkeiten. Man wählt Zielpartition, Zeitzone, Sprache und richtet einen Login ein. Zudem lässt sich wählen, ob man die komplette Partition oder zumindest die persönlichen Dateien verschlüsseln möchte. Anschließend werden die notwendigen Daten überspielt und das System eingerichtet. Anschließend landet man auf einem simplen Login-Screen, über den man auf den Desktop vorstößt.

Screenshot: Zorin OS 12

Vertraute Oberfläche

Der präsentiert sich nach dem ersten Start ausgesprochen leer. Abgesehen vom Hintergrundbild gibt es nur die Taskleiste nebst "Z"-Startbutton zu sehen. Neben dem Knopf sind drei Programme als Favoriten angepinnt. Dies sind der Browser Chromium (die quelloffene Basis von Google Chrome), der E-Mail-Client Geary sowie ein einfacher Dateimanager.

Chromium kommt ohne Direktanbindung an Googles Dienste aus, die Suche des Online-Riesen ist allerdings als Standard eingestellt. Geary bietet voreingestellte Konfigurationen für Gmail, Yahoo Mail und Outlook.com, kann aber auch manuell mit IMAP/SMTP-Einstellungen gefüttert werden.

Screenshot: Zorin OS 12

Shortcuts am Desktop nur per Workaround

Auf der rechten Seite der Taskbar finden sich die Uhrzeit mit Schnellzugang zu Weltzeiten und Kalender, Spracheinstellungen, Lautstärke sowie Schnellzugriff auf Systemeinstellungen bzw. Shutdown, Neustart und Nutzerabmeldung. Ein einheitliches Benachrichtigungsareal, wie es in Windows 10 seit dem "Anniversary Update" existiert, ist nicht vorhanden.

Der vermutlich ärgerlichste Unterschied zwischen dem Windows-Desktop und der Oberfläche von Zorin OS 12 ist die fehlende Möglichkeit, Programme einfach per Shortcut am Desktop zugänglich zu machen. Ordner lassen sich problemlos anlegen, auch das Anpinnen laufender Software funktioniert, doch Shortcuts sind weder per Rechtsklick auf Menüeinträge im Startmenü, Drag & Drop oder anderem Wege verfügbar.

Lediglich ein umständlicher Workaround – das manuelle Kopieren von Einträgen im Ordner usr/share/applications – ist möglich. Das verwundert auch insofern, weil Zorin OS Version 9 (2014) sehr wohl noch das Anlegen von Shortcuts zuließ. Davon übrig geblieben sind nur noch Systemeinstellungen für die Anzeige von Papierkorb und Dateimanager.

Screenshot: Zorin OS 12

Startmenü

Das Startmenü selber wiederum läuft ähnlich, wie man es als Windows-Nutzer erwarten würde. Es ist aufgeteilt in vorgefertigte Ordner, in die Apps je nach Verwendung (Büro, Grafik, Multimedia, Spiele, usw.) eingeteilt sind. Die zweite Sektion gewährt Zugriff auf persönliche Ordner und Einstellungen. Inhalte und Programme sind hier auch über eine Suchfunktion auffindbar, die Apps allerdings verlässlicher findet als etwa einzelne Punkte der Systemeinstellungen. Das könnte aber auch damit zu tun haben, das einige wenige Teile der Oberfläche trotz deutscher Spracheinstellung noch in Englisch auftauchen.

Auch erreicht man hier über eine direkte Verknüpfung den Softwarekatalog (genannt "Ubuntu Software"), in dem von Canonical und der Ubuntu-Community gepflegte Programme aufscheinen. Wer die vorinstallierte Ausstattung von Zorin ergänzen will, wird hier einfach fündig. Freilich lassen sich auch Programme aus Drittquellen installieren, sofern sie als kompatible Debian-Pakete vorliegen.

Nutzer, die unter Windows 8 oder 10 nicht ohnehin schon hauptsächlich den Windows Store anstelle "klassischer Installation" nutzen, dürften hier wohl den größten Unterschied zu ihrem ehemaligen System vorfinden. Einer, an den man sich allerdings schnell gewöhnen kann. Dazu bringt er auch den Vorteil mit, den Nutzer auch zentral über Updates seiner Programme und von Systemkomponenten zu informieren und deren Installation einzuleiten.

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Gute Grundausstattung

Zorin bringt eine solide Grundausstattung an vorinstallierten Programmen mit. LibreOffice deckt Textverarbeitungen, Tabellenkalkulation, Präsentationen und ähnlichen Office-Bedarf mit der bekannten quelloffenen Sammlung ab. Wer auf Microsofts Produkte angewiesen ist, muss entweder auf die browserbasierten Webapps ausweichen oder – für Durchschnittsanwender wohl nicht der bevorzugte Weg – eine parallele Windows-Installation pflegen bzw. auf eine Virtualisierungs-Lösung zurückgreifen.

Weitere Bordmittel umfassen Grafikbearbeitung (GIMP), einen Videoeditor (Pitvi), ein Tool zum Scannen von Dokumenten und Bildern (SimpleScan), einen Player für Musik, Webradio und Podcasts (Rhythmbox) oder ein Videoplayer, dessen integrierte Webstreams im Test nicht funktionieren wollten. Mit MP4- und MKV-Files konnte er allerdings problemlos umgehen. Wer mit den gebotenen Programmen unzufrieden ist, findet Alternativen – etwa den Firefox-Browser oder den VLC-Player.

Auch Windows-Gamesklassiker fährt Zorin auf, darunter ein Solitaire-Game, ein Mahjongg-Spiel und "Minesweeper". An Bord ist auch der Windows-Emulator Wine inklusive "Play on Linux"-Verzeichnis, über das man ein großes Sortiment an eigentlich für Windows-Systeme entwickelte Games starten kann, sofern man in deren Besitz ist. Die Datenbank für vorkonfiguriertes Setup setzt sich allerdings aus vorwiegend älteren Titeln zusammen und liefert nicht immer vollständige oder sprachlich kohärente Einträge. Freilich lässt sich auch einfach Valves Steam-Client nachträglich installieren.

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Flaute bei Spezialsoftware

Ein Manko, das aber auch diese Linux-Variante nicht beheben kann, ist der Mangel bei vielen spezielleren Tools. Adobes Photoshop ist für Linux eben so wenig zu haben wie das professionelle 3D-Modelling-Tool 3D-Studio Max oder die Musikproduktions-Suites Sonar und Cubase. Fallweise sind proprietäre und quelloffene Alternativen, beispielsweise Blender, verfügbar, doch auch diese stellen aus diversen Gründen nicht immer eine Option dar. Jedoch haben diese für private Anwender selten Relevanz.

Sehr wohl von Bedeutung ist dafür ein Plus an Sicherheit, das sich allein schon aus dem geringen Desktop-Marktanteil von Linux-Systemen ergibt, die sie zu einem wenig attraktiven Ziel für Cyberkriminelle machen. Was natürlich trotzdem nicht heißt, dass man wahllos jeden E-Mail-Anhang oder dubiosen Link öffnen sollte.

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Office, Multimedia, Messaging und Basisfunktionen

Wer auf seinem Laptop oder Desktoprechner hauptsächlich Office-Arbeit erledigt, Internet surft und Medieninhalte konsumiert, sieht seinen Bedarf bei Zorin jedoch von Anfang an gut abgedeckt. Damit dürfte der "Werksumfang" von Zorin für viele Privatanwender ausreichend sein.

Viele Messenger sind entweder in einer Linux-Variante zu haben (etwa Skype) oder bieten ohnehin ein Browser-Interface für die Verwendung am Desktop an. Ebenso benötigen populäre Netzwerke wie Facebook keinen eigenen Client. Wer möchte, kann auch seine Konten für Facebook und Google direkt in Zorin OS verankern und sich über Neuigkeiten benachrichtigen lassen.

Diverse andere Grundfunktionen findet man ebenfalls vor. Wer den PC mit Freunden oder Familie teilt, kann mühelos neue Benutzer mit Gast- oder Administratorrechten anlegen. Spannenderweise wird hier die Eingabe eines schwachen Passworts unterbunden, während bei der Einrichtung des eigenen Kontos im Rahmen der Installation ein solches noch gewählt werden kann (allerdings mit Warnhinweis). Die Systemeinstellungen selber verteilen sich etwas anders, wichtige Dinge wie Sprache, Sound oder die Druckereinrichtung sind aber sofort auffindbar.

Screenshot: Zorin OS 12

Performance

Da Zorin 12 auf einem Desktoprechner und außerdem in einer virtuellen Maschine ausprobiert wurde, lässt sich an dieser Stelle nichts über den Akkuverbrauch und auch nur wenig zur Performance sagen. Die Ubuntu-Dokumentation weist bei etwaiger verkürzter Laufzeit von Laptops nur recht lapidar darauf hin, dass oft herstellerspezifische Software und Anpassungen unter Windows und macOS für effizienteren Betrieb sorgen.

Auf älteren Low-End-Rechnern, die schon mit Windows 7 ins Schwitzen kommen, dürfte auch Zorin nicht übermäßig performant laufen. Es wirkt nicht wie ein System, das man zur Wiederbelebung eines Netbooks oder Rechnern aus der Windows XP-Ära verwenden sollte. Der durchschnittliche Multimedialaptop aus 2012 sollte wiederum ausreichend Leistung mitbringen. Von Vorteil wäre allerdings zumindest ein dedizierter Low-End-Grafikchip, wobei die Treibersituation im Vorhinein abzuklären wäre. Auf allen halbwegs aktuellen Computern müssten alle Rechnerkomponenten korrekt erkannt werden. Potenziell ist nur bei besonders exotischer Hardware mit Schwierigkeiten zu rechnen.

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Spannende Alternative

Eignet sich das auf Windows getrimmte Linux-System nun für einen Umstieg von der Microsoft-Plattform? Wer beruflich nicht auf bestimmte Software angewiesen ist, die für Linux schlicht nicht umgesetzt wurde und sich auch nicht groß als Gamer definiert, sollte Zorin OS als Option im Hinterkopf behalten.

Einen 1:1-Ersatz erhält man freilich nicht. Doch sieht man von der Umstellung auf einen zentralen Programmkatalog und der fehlenden Möglichkeit, einfach Shortcuts anzulegen ab, bietet das System jedenfalls eine großzügige Handreichung an all jene, die umsteigen wollen oder müssen. Aus Sicht eines Windows-Nutzers ist Zorin das krasse Gegenteil des immer noch gerne gepflegten Klischees komplizierter, von Treiberfiaskos geplagter Linux-Editionen.

Das System steht auf der Homepage der Entwickler in 32- und 64-Bit-Fassung zum Download zur Verfügung. Zur Ultimate- und Core-Ausgabe sollen sich künftig auch noch eine Variante für Bildungsbedarf (Educational), eine Version für Unternehmen (Business) sowie eine abgespeckte Variante für schwächere Rechner (Lite) hinzugesellen. (Georg Pichler, 22.11.2016)