Medea (Stefanie Reinsperger) tanzt ekstatisch, was die Griechen (Gábor Biedermann, Günter Franzmeier, re.) befremdlich finden.


Foto: Lupi Spuma

Wien – Das edle Volk der Griechen zeigt sich in Franz Grillparzers Theaterstück Medea der gleichnamigen Asylsuchenden gegenüber wenig aufgeschlossen. Die Frau aus Kolchis, die "Wilde", der man magische Kräfte und jedenfalls fremde Sitten zuschreibt, wird trotz ihrer flehenden Bitten um Herberge kaltherzig vor die Tür gesetzt. Nur den Gatten (einen Griechen) und die beiden Kinder wolle man aufnehmen.

Genau auf dieses Flüchtlingsdrama hin inszeniert Regisseurin Anna Badora das 1821 in Wien uraufgeführte "Dramatische Gedicht". Es ist der dritte Teil der Trilogie Das Goldene Vlies und dessen Kulminationspunkt.

Von der Kante der Palastterrasse herab – der Königssitz gleicht jenen glasreichen Schuhschachtelarchitekturen in heutigen Villengegenden (Bühne: Thilo Reuther) – schwenken die Hellenen die Fahne der Leitkultur. Sie tragen selbstbewusst eng geschnittene Anzüge (Günter Franzmeier als Kreon, Evi Kehrstephan als Kreusa) und trinken nachmittags gepflegt einen Aperitif.

Badora, die das Stück vor einigen Jahren bereits am Schauspielhaus Graz erarbeitet hat, stellt hier das Asylthema ins Zentrum – und das in behäbigen, vereinfachten Zeichen. Am Fuß der erhabenen Korinther Residenz campieren Medea und Jason mit ihren Kindern sowie der Amme in einem kriegsgrünen Zeltverschlag, ein Rest von Idomeni. Um Einlass in die Festung von Korinth zu erhalten, muss die freimütige Medea (Stefanie Reinsperger) ein paar wichtige Kulturtechniken lernen. Sie muss ihre Doc Martens gegen goldglitzernde Pumps tauschen und dann im hochgezogenen rosa Tüllrock das Walzertanzen erlernen. Dabei ist sie doch eine Ekstasentänzerin, die Isadora Duncan der Barbaren! Das beweist Reinsperger mitreißend gut.

Missglückte Domestizierung

Dann aber beginnen die recht grob gezimmerten Transferideen Badoras, die in ihrer knarzenden Stadttheateraufführung dem Assimilierungsnarrativ viel Platz einräumt. Auch das Einstudieren eines Heimatliedes misslingt Medea. Und rasend über das vermutlich nie ernst gemeint hingehaltene Aufenthaltsticket qua Domestizierung holt sie die "Wildheit" aus sich hervor. Man kann sich immer nur als das wehren, als das man angegriffen wird, schrieb dazu einmal Hannah Arendt.

Und die Schutzflehende tanzt los mit ihrem roten Samtkleid, lässt allem Zorn über den Monokulturwahn und die ihm zugrundeliegende Engstirnigkeit, der auch ihr Gatte Jason (Gábor Biedermann) anheimgefallen zu sein scheint, freien Lauf. Damit ist auch die Liebe verloren. Die interkulturelle Ehe liegt in Trümmern.

Medea holen immer wieder Erinnerungen an ihre eigenen Vergehen und die somit angehäufte Schuld ein – das Ehepaar ging im Streit um das Machtsymbol, das Goldene Vlies, durchaus über Leichen.

Auf diese blutige Vergangenheit wird in der Volkstheateraufführung verwiesen, doch dieser komplexe und mythisch aufgeladene Erzählstrang verliert mit dem Fokus auf die heutige Asyldiskussion an Gewicht. Oder anders gesagt: Auf Medea blickt man am Volkstheater vor allem durch die Brille heutiger asylpolitischer Überlegungen (Checklist Integration). Dadurch aber reduziert man die Titelfigur auf die verratene Gattin mit Migrationshintergrund, deren Kleidermode und impulsives Temperament die distinguierten Griechen stören. Dass diese gutmeinende, kämpferische, aber bis zu einem gewissen Grad doch anpassungswillige Figur zum Kindsmord schreitet, kommt dann einigermaßen überraschend.

Da hat die sonst sehr dichte Kausalitätskette Badoras, die das Drama bis zum echten Widderfell des Vlieses bildnerisch konkret ausdeutet, eine schmerzliche Leerstelle. (Margarete Affenzeller, 21.11.2016)