Heribert Sasse als Baron Joachim von Essenbeck am 4. November bei einer Probe von "Die Verdammten" im Theater in der Josefstadt.

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Wien – Dieser Herbsttage hatte Heribert Sasse am Wiener Josefstadt-Theater noch einen bedeutenden, letzten Triumph als Charaktermime gefeiert. In Elmar Goerdens Bühnenfassung von Luchino Viscontis "Die Verdammten" verkörperte er zuletzt in Frack und tadelloser Haltung den vergreisenden, vor dem Terror der Nazi-Zeit zusehends in die Demenz flüchtenden Stahlbaron von Essenbeck.

Noch einmal stellte Sasse, der aus Linz gebürtige Theatermann, alle Vorzüge seines kolossalen Handwerks zur Schau. Durch seine charakteristische Miene zuckten Schauer des Eigensinns. Dabei fiel sein von Essenbeck, dieser Repräsentant des Deutschen Kaiserreichs, kopfüber in die Nachtfinsternis der sich anbahnenden Naziherrschaft. Eines Drüsenleidens in jungen Jahren wegen sprangen Sasses Augen bedrohlich vor, und er verstand sich prächtig darauf, mit dem wilden Ausdruck der Missbilligung seine Gegenspieler auf der Bühne zu deren Nachteil völlig bloß zu stellen.

Ausgebildeter Elektrotechniker

Als Schauspieler konnte und wollte Sasse mit seinem von der Pike auf gelernten Österreichertum nicht hinterm Berg halten. Der ausgebildete Elektrotechniker und nachmalige Max-Reinhardt-Seminarist verwendete seine ganze Präzision auf die Darstellung verschlampter oder in die Doppelbödigkeit des Wienertums abgetauchter Charaktere.

Über seinen Horvath-, Nestroy- oder Thomas-Bernhard-Figuren vergisst man gerne Sasses umfangreiche Karriere ausgerechnet in West-Berlin. Wiederholt hatte der einmal siebensüß lächelnde, dann wieder brutal auftrumpfende Charakterkopf als Schauspieler auf sich aufmerksam gemacht – in Inszenierungen Rudolf Noeltes etwa. Er war in Hamburg, München, Düsseldorf oder Essen erfolgreich gewesen. Mit Beginn der 1980er-Jahre arbeitete er unermüdlich als Regisseur. Und beglückte die Charlottenburger Bürger mit Inszenierungen, die eher gemütvoll waren und sich mit der Neuerfindung des Theaters nicht weiter aufhielten. Sasses Ideal galt, mit allen Vor- und Nachteilen, der realistischen Zeichnung überzeitlicher Perfidie.

Generalintendant der Schauspielbühnen

1985 beerbte Sasse den berühmten Boy Gobert als Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin. Und obwohl es die Spree-Städter mit ihrem österreichischen Gast nicht immer gut meinten, darf festgehalten werden: Unter Sasse, der zur Ouvertüre als Titus Feuerfuchs auftrat, zeigte sich das berühmte Schillertheater letztmals konsolidiert. Erst mit – und wegen – Sasses Nachfolgern wurde das ruhmreiche Haus kurzerhand abgewickelt und zugesperrt.

Albee, Hofmannsthal, Kipphardt, Schnitzler: Das alles konnte Sasse inszenieren und jederzeit tiefenscharf nachstellen, in den 1990ern vor allem im Berliner Schlossparktheater. Die Heimkehr nach Wien, etwa an Michael Schottenbergs Wiener Volkstheater, brachte Sasse nicht immer die verdiente Anerkennung. Aber er verstand sich noch immer prächtig auf aasige Gestalten, deren nasales Gejammer abstoßend sein konnte, während die Stimmspitzen bereits flatterten und von Not und Untergang weinerlich erzählten. Sasse war ein klug wägender Anwalt seiner Figuren. Er wird schmerzlich fehlen.

Jetzt ist Heribert Sasse völlig überraschend 71-jährig in Hinterstoder gestorben. (Ronald Pohl, 19.11.2016)