Mini-Spoiler-Alert: Einige Details zur Handlung der neuen "Gilmore Girls"-Folgen werden im Artikel erwähnt – allerdings nur solche, die bereits aus dem veröffentlichten Trailer hervorgehen.

Showbusiness kann manchmal verdammt zynisch sein. Am Beginn der Serie "Gilmore Girls", erzählte deren Schöpferin Amy Sherman-Palladino einmal in einem Interview, musste man des Budgets wegen beim Anwesen der reichen Gilmore-Großeltern sparen. Der großgewachsene Edward Herrmann, der Patriarch Richard Gilmore verkörperte, wirkte im kleinen Set stets noch größer. Neuneinhalb Jahre nach dem Ende der Serie kommen die "Gilmore Girls" zurück, beauftragt von Netflix und ausgestattet mit reichlich Budget. Das Gilmore-Anwesen ist jetzt groß genug – doch Edward Herrmann starb 2014.

Foto: Robert Voets/Netflix

Hier kommt der Zynismus ins Spiel. Denn der Verlust des Kollegen hat die restlichen Schauspieler zwar sehr mitgenommen, den vier 90-Minütern, die Sherman-Palladino mit ihrem Ehemann Daniel Palladino schrieb und produzierte, hat die Lücke, die Richard Gilmore hinterlässt, aber gutgetan. Sein Tod habe ihn "zu einer Art Katalysator für alle anderen Charaktere gemacht, damit sie eine wesentliche Veränderung durchmachen müssen", sagt Alexis Bledel, die Rory Gilmore darstellt, im STANDARD-Interview, "das ist toll für eine Geschichte".

Umstrittene siebte Staffel

Ab 25. November sind die vier neuen Folgen unter dem Titel "Gilmore Girls: Ein neues Jahr" (Original: "A Year in the Life") über den Online-Streamingdienst Netflix verfügbar. Über sieben Staffeln und 153 Folgen konnten Fans und Hasser der Serie das energiegeladene Mutter-Tochter-Gespann Lorelai und Rory Gilmore im beschaulichen Städtchen Stars Hollow im Nordosten der USA begleiten; Rorys Erwachsenwerden samt Wechsel an die schnöselige Eliteschule Chilton, immer getrieben vom Traum, in Harvard zu studieren (wiewohl es später Yale wurde). Lorelais schmerzhaftes Ausleben der kaputten Beziehung zu ihren stinkreichen, kalten Eltern.

Netflix US & Canada

Nun soll die Geschichte fertigerzählt werden, neuneinhalb Jahre nachdem die letzte reguläre Folge der "Gilmore Girls" erstausgestrahlt wurde. Wobei das Wort "regulär" hier umstritten sein mag. Denn wegen Unstimmigkeiten mit dem Sendernetzwerk CW gingen die Palladinos nach sechs Staffeln von Bord – die siebente und letzte Staffel wird deshalb von vielen Fans skeptisch betrachtet und oft nicht zu den "echten" "Gilmore Girls"-Folgen gezählt. "Es hat sich definitiv anders angefühlt", sagt auch Bledel über die vorerst letzte Staffel. Auch wenn sich die neuen Autoren alle Mühe gegeben hätten: "Es war nicht dasselbe." Und Amy Sherman-Palladino sehnte sich nach einer Chance, ihre Geschichte fertigzuerzählen.

Riskante Wiederbelebung

Jedoch: keine Chance ohne Risiken. Denn so sehr das kurze Wiederbeleben der "Gilmore Girls" ein würdevolles Zugrabetragen der Geschichte ermöglichen könnte, so sehr könnte es den Mythos endgültig zerstören. Wenn die Luft nach fast zehn Jahren einfach draußen wäre. Wenn den Schauspielern anzumerken wäre, dass sie, inzwischen nicht alle rasend erfolgreich, nur halbherzig wegen des Geldes mitmachten. Wenn die mit den "Gilmore Girls" aufgewachsenen Fans merkten, dass nicht die Serie an sich so bemerkenswert war, sondern die Rolle, die sie bei ihrem eigenen Erwachsenwerden gespielt hat – und Nostalgie allein einfach nicht reicht.

"Ich wollte, dass es wirklich gut wird", sagt Lauren Graham, die Rorys Mutter Lorelai spielt, zum STANDARD. Das habe Druck gemacht. Der Blick auf die erste Seite des Drehbuchs für die neuen Folgen sei dann eine Erleichterung gewesen: "Ich dachte: 'Ah, okay, das wird gut.'"

Foto: Saeed Adyani/Netflix

Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Fans der ersten Stunde, die Anfang der 2000er-Jahre in Stars Hollow eintauchten. Seit Netflix im Oktober 2014 alle Staffeln der Serie in sein Serienangebot aufgenommen hat, wuchs eine zweite Generation Fans heran, die zum Produktionsstart der Serie auf die Welt gekommen sind.

Bröckelnde Fassade

Die Bewohner von Stars Hollow sind, wie die ersten Fans, Macher und Schauspieler, gewachsen, gewandert und gealtert (der STANDARD sah die ersten zwei der vier Folgen vorab). "Gilmore Girls: Ein neues Jahr" beginnt nach der langen Pause damit, wofür Lorelai und Rory berühmt sind: einem Stakkato-Dialog im Stil einer olympischen Tischtennispartie. Rory, nunmehr umtriebige Journalistin, ist auf Kurzbesuch in der Heimat und jongliert ihre drei Handys. Ganz kurz scheint sie dort angekommen, wo sie sein wollte – um die Welt jettend wie ihr großes Vorbild, CNN-Starjournalistin Christiane Amanpour, veröffentlichte sie gerade ihren ersten Text im New Yorker.

Doch lange dauert es nicht, bis sich herausstellt, dass die Fassade bröckelt und es Rory nicht nur an einem festen Wohnsitz, sondern auch an ebensolchen Beziehungen und Jobs mangelt. "Sie befindet sich in einer Zeit des Umbruchs", sagt Bledel, "das bringt sie in ein emotionales Chaos."

Rorys entwurzeltes Dasein kommt überraschend: Vor neuneinhalb Jahren hatte sie ihren Abschluss in Yale gemacht, um dann für ein Online-Medium mit dem damaligen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama auf Tour zu fahren: Ihr Traum schien auf Schiene. Bledel habe mit Amy Sherman-Palladino darüber gesprochen, "wie sehr ich Rory einen Erfolg gewünscht habe" – offenbar vergeblich. Autoren sind grausam.

Foto: Saeed Adyani/Netflix

Keine Enttäuschung

Sie sind das auch bei Lorelai und noch viel mehr bei Großmutter Emily, die am Verlust ihres Ehemanns zeitweise zu zerbrechen droht. Großvater Richards Tod kommt zu einer Zeit, zu der der Konflikt zwischen der mit 16 von zu Hause ausgerissenen Lorelai und ihren konservativen Eltern noch immer nicht geklärt ist. "Die Geschichte wiederholt sich, gleichzeitig bleiben die Dinge, wie sie sind", sagt Graham, "und ich glaube, das ist auch bei Eltern und Kindern der Fall." Die Muster, in die Lorelai und Emily fallen, seien zwar nach wie vor da, "aber sie machen Fortschritte". Die Geschichte wiederholt sich.

Und wie sollte es auch sonst sein? Sieben Jahre lang wurden Rory und Lorelai durch die Kämpfe definiert, in die die Palladinos sie schickten. Richards Tod, der Katalysator, befeuert im Wesentlichen die bekannten Muster der Charaktere. Dass wir im Jahr 2016 keine fundamental neue Seite der beiden kennenlernen, ist der Grund dafür, warum "Ein neues Jahr" die Fans nicht enttäuschen wird. Es ist auch der Grund dafür, dass die neuen Folgen kein Feuerwerk des Enthusiasmus auslösen werden. "Es ist einfach ein behaglicher Ort für einen Besuch", sagt Lauren Graham über Stars Hollow. Amy Sherman-Palladino ging kein Risiko ein und arrangierte vier gemütliche Abende bei alten Bekannten. (Sebastian Fellner, 18.11.2016)