Jetzt ist die Volkspartei schon wieder auf der Suche nach der Leitkultur. Offenbar ist die gar nicht so leicht zu finden, in einem Land, das sich die Zukunftshoffnung der Partei als "jüdisch, christlich, aufklärerisch geprägt" schönzureden versucht, während besagte Hoffnung und deren Anbeter von dieser Prägung immer weniger erkennen lassen. Dass die FPÖ, an die sie sich mit ihren leitkulturellen Zwangsvorstellungen anzuschleimen versucht, plötzlich das Judentum, zumindest in seiner ultrarechten Formierung, für sich entdeckt hat, weil sie in den Muslimen die für ihre aktuellen Zwecke praktischeren Juden entdeckt hat, überrascht nicht weiter. Aber von der jüdischen Prägung Österreichs zu schwärmen und dafür ausgerechnet ins Zimmer eines profilierten christlich-sozialen Antisemiten einzuladen – ins Kunschak-Zimmer –, das zeugt entweder, leitkulturell geprägt, von Chuzpe oder von einer Instinktlosigkeit, der man österreichische Leitkultur lieber nicht ausgesetzt wissen möchte. Falls es so etwas gibt.

Die hektische Suche nach der Leitkultur entspringt auch keinem tieferen kulturellen Bedürfnis der ÖVP, sondern bloß einer Meinungsumfrage, nach der viele Österreicher sich vor zu viel Zuwanderung fürchten, die mit heimischer Trachtenkultur nicht allzu viel auf dem Steirerhut hat. Statt sich einmal die Frage zu stellen, wie viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sich freiwillig so sehr als "jüdisch, christlich, aufklärerisch geprägt" empfinden, dass sie diese Werte auch anderen oktroyieren dürften, sollen Judentum, Christentum und Aufklärung dazu herhalten, die Minimalisierung von Mindestsicherung und Kinderbeihilfen, beziehungsweise die Abwälzung der Kosten auf das – trifft sich gut, rote – Wien, unter dem Titel Leitkultur zu rechtfertigen.

Wenn die schwarzen Kulturleistungsträger nicht mehr im Angebot haben, als Verbote von Phänomenen zu fordern, die erst wegen der Seltenheit ihres Erscheinens ins Gerede kommen, wie die Burka, dann war dieser Rummel im Kunschak-Zimmer nicht mehr als eine Erinnerung an die antisemitisch geprägten und hochgeehrten Vorväter der Partei. Wäre nicht nötig gewesen, aber Erinnerungskultur schadet nie. Schon gar nicht, wenn auch das Christliche nur noch symbolhaft auf Gipfelkreuze reduziert, aber als Praxis weitgehend an die Caritas delegiert wird. Als Vorreiterin von Aufklärung, welcher Art auch immer, hat die ÖVP ohnehin nie gegolten.

Sie wird es auch durch eine leitkulturelle Annäherung an die FPÖ nicht werden. "Wir sollten ein Land sein, in dem jeder danach beurteilt wird, welchen Beitrag er leistet", faselte der Hoffnungsträger, selbst noch weitgehend beitragsfrei, ohne dazuzusagen, wer als Beurteiler infrage käme. Und ohne darüber aufzuklären, welchen Beitrag die Partei geleistet hat, der er sich anbiedert – außer ein Bundesland in den Bankrott zu führen.

Deren Präsidentschaftskandidat will jetzt nicht einmal mehr die Regierung entlassen, sollte er gewinnen, nachdem er schon dem Öxit mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern abgeschworen hat. Womöglich bekennt er sich demnächst auch noch zu einem "jüdisch, christlich, aufklärerisch geprägten" Österreich. (Günter Traxler, 17.11.2016)