Es gibt einen großen Unterschied zwischen der deutschen und der österreichischen Bundespräsidentenwahl. In Wien ist das Rennen drei Wochen vorher offen, in Berlin drei Monate vorher schon gelaufen. Und so sprach am Mittwoch, bei seiner Vorstellung im Bundestag, quasi schon nicht mehr Außenminister, sondern "Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier" und präsentierte ob der klaren Ausgangssituation selbstbewusst sein Motto.

Er wolle als Staatsoberhaupt den Menschen Mut machen, ihnen aufzeigen, welche Chancen und Kräfte in Deutschland stecken, sagte er. Das sind natürlich keine schlechten Worte, da schauten auch Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nicht unzufrieden drein – wenngleich es nach jener von Joachim Gauck im Jahr 2012 schon die zweite Präsentation eines Kandidaten war, den beide zunächst nicht wollten.

Aber erneut hat sich SPD-Chef Sigmar Gabriel durchgesetzt und Merkel, deren Unionsfraktion die stärkste in der Bundesversammlung ist, düpiert. Gabriel konnte es tun, weil Merkel die Suche nach einem Gauck-Nachfolger lange Zeit nicht ernst genug nahm und sich stattdessen darauf verließ, dass sie schon irgendjemand finden würde, den entweder die SPD oder die Grünen mittragen würden.

Es gelang ihr nicht, da in der Union ein gewisser "Fachkräftemangel" herrscht. Das ist blamabel und sorgt dort für verärgertes Gegrummel, weil viele Schwarze auch bei der Kür des Staatsoberhaupts die Führungsrolle selbstverständlich bei der Kanzlerin gesehen hätten – zumal der Sozialdemokrat Steinmeier so beliebt ist, dass nach seinem Einzug ins Schloss Bellevue im Wahljahr 2017 durchaus etwas von seinem Glanz auf die wahlkämpfende SPD abfallen könnte.

Paradoxerweise kann man Merkel aber beim Ergebnis des Präsidentenpokers keinen Vorwurf machen. Über Parteigrenzen hinweg herrscht Einigkeit: Steinmeier ist eine gute Wahl. Er hat Erfahrung, ist beliebt, geachtet, international vernetzt, und er ist eben tatsächlich einer, hinter den sich Sozialdemokraten und Konservative stellen können, weil der 60-Jährige weder ein Scharfmacher noch ein Spalter ist.

Steinmeier ist die deutsche Antwort auf Donald Trump und all jene anderen Politiker, die – egal ob in Frankreich, Österreich, Ungarn, Russland oder anderswo – für schrille Töne sorgen. Seine Nominierung ist ein Zeichen dafür, dass die große Koalition in Deutschland ihnen etwas entgegensetzen will.

Als "Zeichen der Stabilität" lobt Merkel Steinmeier nicht zu Unrecht. Doch bei allem Respekt vor seinem künftigen Amt muss man doch sehen: Er wird "nur" der Bundespräsident. Zwar wird sein Wort im In- und im Ausland gehört werden. Doch sehr viel mehr kommt es dann doch auf die Kanzlerin oder den Kanzler an.

Wenn Merkel diese Stabilität in unsicheren Zeiten so wichtig ist, dann wird sie nicht um eine noch viel wichtigere Entscheidung umhinkommen – nämlich jene, die ihre eigene Person betrifft. In fast schon skurriler Art und Weise lässt sie die Deutschen darüber im Unklaren, ob sie für eine vierte Amtszeit bereitsteht oder nicht.

Es ist jetzt an der Zeit, dieses Schweigen zu beenden. Nach dem Brexit-Votum und der US-Wahl hat Merkel eigentlich keine andere Wahl: Sie wird noch einmal antreten. Steinmeier alleine reicht als Signal in diesen unruhigen Zeiten nicht aus. (Birgit Baumann, 17.11.2016)