Die Fußgängerzone von Sankt Pölten. Vor allem junge Menschen – immer mehr auch aus Wien – zieht es in die Landeshauptstadt und dort insbesondere ins Zentrum.

Foto: Heribert Corn

Wien / St. Pölten – Die politischen Verantwortlichen in Sankt Pölten freuen sich: Im Vorjahr zogen so viele Wiener wie noch nie in die niederösterreichische Stadt an der Traisen: Genau 559 Bundeshauptstädter verlegten Zahlen der Statistik Austria zufolge ihren Hauptwohnsitz dorthin. Der Rekord von 2014 wurde noch übertroffen. Mausert sich die fast 53.000 Einwohner zählende Stadt zur kostengünstigen Alternative zum Speckgürtel? Jein. Zwar wächst sie, nach Wien zog es aber noch mehr Sankt Pöltner (596) als in die umgekehrte Richtung. Der Negativsaldo hat sich aber stark verringert – 2011 war er noch viermal so groß.

Sankt Pölten ist in guter Gesellschaft: Mehrere Städte in relativer Wien-Nähe erfreuen sich steigender Einwohnerzahlen. Das größte Plus in Niederösterreich hatte beim durchschnittlichen Gesamtwanderungssaldo von 2002 bis 2015 Wiener Neustadt: laut Statistischem Handbuch des Landes mit einem Schnitt von jährlich 434 Zuzüglern. Gefolgt von Sankt Pölten, Klosterneuburg, Traiskirchen, Tulln an der Donau, Gänserndorf, Stockerau, Baden und Schwechat. All diese Kommunen zählen rund 11.000 Einwohner oder mehr. Besonders starke Abwanderung wurde in Gemeinden mit 1.600 bis 3.800 Einwohnern gemessen.

Nicht mehr nur in den Speckgürtel

Konkret nimmt laut Statistik Austria auch die jährliche Zahl der in kleinere niederösterreichische Städte ziehenden Wiener zu. Von 179 Personen 2002, hat sie sich etwa in der Stadt Krems bis 2015 auf 422 mehr als verdoppelt. Die Menge der in umgekehrte Richtung Siedelnden wuchs dort zugleich weit weniger stark. Die Tendenz, dass mehr Wiener zuziehen als abwandern, lässt sich in mehreren Städten beobachten: unter anderem in Baden, Stockerau, Hollabrunn, Schwechat und Tulln.

Dass Menschen aus Wien nicht nur in den stetig wachsenden Speckgürtel, sondern auch in etwas weiter entfernte kleinere Städte umziehen, kann viele Ursachen haben: "Man kehrt wegen familiärer Bindungen nach einer Ausbildung zurück, hat berufliche Gründe oder zieht um, weil das Leben in einer Kleinstadt günstiger ist", zählt Michael Getzner auf, der Leiter des Fachbereichs Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik am Department für Raumentwicklung an der Technischen Universität (TU) Wien.

Viele, die in Sankt Pölten oder Krems wohnen, dürften (weiter) in Wien arbeiten, schätzt Raumordnungsexperte Getzner. Nach Angaben der Stadt zieht es vor allem unter 45-Jährige in die niederösterreichische Landeshauptstadt, und diese wohnen dann gerne im Zentrum. Verkehrsinfrastrukturprojekte wie der Ausbau der Westbahnstrecke begünstigen das Pendeln über immer größere Distanzen. "Baut man Hochinfrastruktur aus, sagt man immer, dass das den regionalen Verbindungen dienen soll", sagt Getzner, "eigentlich dient es aber den Zentren." Martin Koutny, Pressesprecher der Stadt Sankt Pölten, bezeichnet den erfolgten Ausbau der Westbahnstrecke denn auch als "enormen Impulsgeber" für das Wachstum der Stadt.

Rasche Wohnraumentwicklung

Getzner zählt – aus ökonomischer Sicht – die niederösterreichische Landeshauptstadt zum Großraum Wien, der insgesamt rasant wächst. Stadtsprecher Koutny formuliert es so: "Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu Wien, sondern als Ergänzung." Allerdings existiere kein Raumentwicklungskonzept für den Großraum Wien, kritisiert Getzner – "das ist ein Witz".

Durch Zuzüge in Städte steige der Druck auf den Wohnungsmarkt, weshalb es Maßnahmen braucht, damit Wohnraum leistbar bleibt, wie Getzner sagt. Sankt Pölten, an der Einwohnerzahl gemessen, eine mit 109 Hektar flächenmäßig große Stadt, sieht sich unter den Landeshauptstädten derzeit als "Spitzenreiter, was leistbaren Wohnraum betrifft". Die wirtschaftliche Entwicklung kann bei Städten laut Getzner vom Tempo her oft nicht mit jener des Wohnraums mithalten: "Deshalb gibt es zum Beispiel in Wien höhere Arbeitslosenraten als im ländlichen Raum, in Abwanderungsregionen."

Auch die Infrastruktur – zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen – muss mitwachsen. Allerdings bremse der innerösterreichische Stabilitätspakt die öffentliche Schuldenaufnahme, sagt Getzner, und dies hält der Experte für problematisch, da Städte deshalb zunehmend Infrastrukturprojekte über Public Private Partnerships (PPP) umsetzen. Diese kämen die öffentliche Hand langfristig gesehen aber teurer. (Gudrun Springer, 16.11.2016)