Die geplante Änderung der Zeugnisformularverordnung ruft Kritiker auf den Plan, sie befürchten die Wiedereinführung von Noten.

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Wien – Seit Beginn dieses Schuljahrs kann in den ersten drei Volksschulklassen auf Wunsch von Eltern und Lehrern auf Ziffernnoten verzichtet werden. Pädagogen warnen nun jedoch, dass durch Detailregelungen des Bildungsministeriums in der Praxis nicht nur Noten de facto bestehen bleiben. Jene, die schon alternative Beurteilung eingesetzt haben, würden sogar zur Wiedereinführung von Benotungen gezwungen.

Bisher war an Österreichs Schulen die Benotung von "Sehr gut" bis "Nicht genügend" in Semesterinformation und Jahreszeugnis die Norm. Allerdings gab es bereits an 2.000 Standorten Schulversuche, bei denen Alternativen zu Ziffernnoten (etwa verbale Beurteilung, Pensenbücher, Portfolios) eingesetzt wurden. Die Bildungsreform sollte nun eigentlich eine Erleichterung bringen, indem für den Notenverzicht kein Schulversuch mehr beantragt werden muss. Stattdessen sollen Eltern und Lehrer jeder Klasse über den Umstieg auf eine "Leistungsinformation" entscheiden können.

Beurteilungsstufen vorgesehen

Die konkrete Ausgestaltung der Reform könnte nun allerdings dazu führen, dass künftig an allen Volksschulen wieder "Ziffernnoten durch die Hintertür" eingeführt werden, wird in einem Montagabend publizierten offenen Brief an Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) gewarnt. Unterzeichnet wurde er bisher von mehreren Schulleitern, Lehrern und Schulforschern.

Hintergrund der Warnungen sind geplante Änderungen der Zeugnisformularverordnung: Im Begutachtungsentwurf sind verpflichtend fünf "Beurteilungsstufen" vorgesehen, die in ihren Formulierungen ziemlich genau jenen für die Benotung von "Sehr gut" bis "Nicht genügend" entsprechen. So entspricht etwa die geplante Formulierung "Erfassen und Anwenden des Lehrstoffes und Durchführen von Aufgaben in den wesentlichen Bereichen überwiegend" den in der Leistungsbeurteilungsverordnung definierten Kriterien für ein "Genügend".

"Dadurch werden die Schulversuche zur alternativen Leistungsbeschreibung pervertiert", kritisiert Josef Reichmayr im APA-Gespräch. Er ist einer der Initiatoren des Appells und Direktor der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau, wo bereits seit den 1980ern auf Ziffernnoten verzichtet wird.

Die geplanten Vorgaben des Ministeriums würden nun laut Reichmayr dazu führen, dass die Schulen zwar weiterhin ihr aufwendiges System zur individuellen Leistungsbeschreibung mit Eltern-Kind-Gesprächen, Portfolios und umfangreiche Dokumentation von Lernfortschritten einsetzen dürften. Gleichzeitig würden sie aber dazu verpflichtet, zusätzlich jedes Semester eine "Umschreibung der Ziffernnoten" zu vergeben. Damit werde die ganze Idee der alternativen Leistungsbeurteilung, den Leistungsfortschritt jedes einzelnen Kindes anstelle seiner "Rangordnung in der Klasse" in den Mittelpunkt zu stellen, ad absurdum geführt, kritisiert Reichmayr. Bisher sei der zusätzliche Hinweis, welcher Note diese Leistung entsprechen würde, sogar explizit nicht erlaubt gewesen.

Aufbauarbeit gefährdet

Laut dem Verordnungsentwurf gebe es künftig nur mehr die Wahl zwischen unkommentierten und kommentierten Ziffernoten, kritisieren die Unterzeichner des offenen Briefs. "Das steht in krassem Gegensatz zur Schulautonomie und bedeutet de facto eine Abschaffung aller alternativen Beurteilungsformen!", heißt es dort. Für Reichmayr würden dadurch Jahrzehnte an Aufbauarbeit zerstört.

Die Unterzeichner des Briefes fordern deshalb von Hammerschmid, die geplanten Vorgaben nicht umzusetzen. Sollte das nicht passieren, werde er an seiner Schule jedenfalls zu Ziffernnoten für die ersten drei Volksschulklassen zurückkehren, kündigt Reichmayr an. Und er werde auch alle anderen Schulen mit alternativer Beurteilung dazu aufrufen, seinem Beispiel zu folgen. Denn damit wäre wenigstens deklariert, dass diese "Scheinautonomie" nicht unterstützt werde. "Daneben werden wir weiter die Gespräche mit Eltern und Kindern führen, aber das lasse ich mir dann nicht vorschreiben", so Reichmayr.

Unterstützt wird der Widerstand von Grünen-Bildungssprecher Harald Walser: "Es ist verrückt und ein pädagogischer Schildbürgerstreich, dass man im Frühjahr 2016 das Aus für die Ziffernnoten in den ersten drei Klassen der Volksschule verkündet hat und diese jetzt im Herbst durch die Hintertür verpflichtend wieder einführt", kritisiert er. Die Zeugnisformularverordnung ist für Reichmayr übrigens noch aus einem weiteren Grund problematisch: Indem eine schriftliche "Erörterung der Persönlichkeitsentwicklung, der sozialen Kompetenz sowie des Verhaltens in der Gemeinschaft" vorgesehen ist, werde zusätzlich zu Noten in den Pflichtgegenständen die Verhaltensnote in der Volksschule wiedereingeführt.

Ministerium: Kein Zwang zur Ziffernote

In den ersten drei Volksschulklassen müssen künftig neben einer verbalen Beurteilung doch keine "standardisierten Formulierungen" verwendet werden, die den Noten von "Sehr Gut" bis "Nicht Genügend" entsprechen. Das Bildungsministerium hat die entsprechenden Passagen in einer geplanten Verordnung zurückgezogen, hieß es am Dienstag aus dem Büro von Ministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) zur APA.

Der Entwurf einer neuen Zeugnisformularverordnung hätte in den Pflichtgegenständen fünf "Beurteilungsstufen" vorgesehen, die in ihren Formulierungen ziemlich genau jenen für die Benotung von "Sehr Gut" bis "Nicht Genügend" entsprechen. Damit hätten künftig auch jene Schulen, die derzeit alternative Beurteilungsformen nutzen, de facto eine Umschreibung der Ziffernnoten in Semesternachricht und Jahreszeugnis schreiben müssen. Dort, wo Eltern und Lehrer sich neu für die Einführung von alternativer Beurteilung in den ersten drei Volksschulklassen entschieden hätten, wären wiederum die Noten de facto erhalten geblieben.

Nach negativen Stellungnahmen zum Begutachtungsentwurf in den vergangenen Wochen habe man allerdings im Ministerium "bereits längst beschlossen, dass das in dieser Form nicht kommen wird". Die standardisierten Formulierungen seien eigentlich als Hilfestellung für jene Lehrer gedacht gewesen, die bisher noch gar keine Erfahrung mit alternativer Leistungsbeurteilung gemacht haben. Am Montagabend hatte eine Initiative von mehreren Schulleitern, Lehrern und Schulforschern in einem offenen Brief an Hammerschmid appelliert, die geplanten Änderungen keinesfalls umzusetzen. (APA, 15.11.2016)