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Auf einer Farm außerhalb von Dubai City werden über 4000 Kamele als Nutztiere gehalten. Ihre Milch, die auch zu Schokolade verarbeitet wird, gilt als äußerst wertvoll.

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Al-Nassma-Schokolade aus Kamelmilch gibt's natürlich auch in der Form des Tieres.

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Umm Nahad, eine halbe Autostunde von Dubai entfernt: Die wenig befahrene sechsspurige Autobahn verläuft fast schnurgerade durch den Sand des Emirats. Im Rückspiegel verschwinden die Wolkenkratzer, mondänen Einkaufszentren und luxuriösen Wohnviertel der Emiratis und wohlhabenden Expats. Hier, mitten in der Wüste, wird kein Erdöl und kein Erdgas gefördert, sondern Kamelmilch. Flüssiges, weißes Gold, das auch zu Schokolade verarbeitet wird.

Auf das Gelände von Emirates Industry for Camel Milk & Products kommt nur, wer sich vom Sicherheitsdienst die Autoreifen desinfizieren lässt. Man könnte ja Bakterien einschleppen. Auf der Farm werden Kamele auf einem 1,5 Quadratkilometer großen Gelände gehalten. Das entspricht einer Fläche von 210 Fußballfeldern. Hier leben die Tiere in Gruppen von maximal 25 Tieren. Wer in die Produktionsstätten will, muss auch noch Schutzkleidung anlegen.

500 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, die meisten kommen aus Bangladesch, Indien und Pakistan oder aus Europa. Die Europäer sind meist in Führungspositionen tätig und nicht mit dem Melken oder einfachen Arbeiten in den Stallungen der Tiere betraut. Emiratis sieht man, wie überall in Dubai, auch auf der Kamelfarm nur selten.

Eigensinnig

Wie Kühe haben Kamelstuten vier Zitzen. Melkstand und Melkmaschinen sind an die kleineren, flacheren Kameleuter angepasst. Zweimal am Tag werden die 4200 Wüstenschiffe gemolken. Kamelstuten sind feinfühlig – und eigensinnig. Sobald ihnen eine Kleinigkeit nicht passt, geben sie keine Milch. Sie lassen sich nur melken, wenn das Kalb zuvor gesäugt wurde, und während des Melkens muss das Jungtier in der Nähe der Mutter bleiben. Wenn die Kameldame keine Lust hat, kann man sich noch so bemühen, aber ihre Milch rückt sie nicht raus. Selbst wenn die Stuten entspannt und freigiebig sind, erhält man maximal sieben Liter pro Tier und Tag.

Im Vergleich zu mitteleuropäischen Kühen, die täglich zwischen 25 und 40 Liter geben, ist das recht wenig. Auch das macht die Kamelmilch so wertvoll. Nach dem Melken wird die Kamelmilch bei 75 Grad Celsius pasteurisiert. Derzeit liegt die Produktion bei 6000 Liter Milch pro Tag. Zwei Drittel davon gehen in den Frischmilchverkauf, aus dem Rest wird vor allem Milchpulver produziert.

Hochgeschätzte Tiere

Seit Jahrtausenden leben die Beduinen Arabiens in symbiotischer Beziehung mit ihren Tieren, und sie schwören auf die Heilkraft von Kamelmilch. Während eine Kuh im Wüstenklima nach vier Stunden ohne Wasser schlappmacht, kommt das Kamel dank seiner Fähigkeit, Wasser in den roten Blutkörperchen zu speichern, zwei Wochen und länger ohne Wasser aus – und, kaum zu glauben, sie gibt weiter Milch. Emirates Industry arbeitet daran, das Kamel wieder zu einem Nutztier zu machen – ähnlich der Kuh wie in Europa, obwohl die Emiratis heute ihre Kamele zuallererst als Renntiere schätzen. Traditionell füttern sie ihre wertvollen Tiere vor einem Rennen auch mit Kamelmilch.

Über viele Dekaden war dieses flüssige Gold fast völlig aus den Geschäften der Emirate verschwunden. Heute produziert man neben der Milch auch Trinkjoghurt, Käse und Körperpflegeprodukte. Mehr noch: Latte macchiato war gestern, Camelatte und Camelccino sind in Dubai die Getränke der Stunde. In dem Emirat bieten die Cafés ihre Kaffeegetränke und Tees mittlerweile mit Kamelmilch an. Das ist nicht nur exotisch, sondern angeblich auch gesund.

Leicht salzig, gut verdaulich

Kamelmilch hat einen vollmundigen Geschmack mit einem leicht salzigen Abgang. Wissenschafter haben herausgefunden, dass Kamelmilch leichter verdaulich ist als Kuhmilch und sich besonders für Allergiker eignet. Darüber hinaus hat sie 50 Prozent weniger Fett als Kuhmilch, drei- bis fünfmal mehr Vitamin C, wesentlich mehr Vitamin B, mehr Calcium und andere Mineralien.

Es gibt Studien, die festgestellt haben, dass bei Diabetes 2 Kamelmilch helfen kann, den Blutzuckerspiegel zu regulieren und den Cholesterinspiegel niedrig zu halten. Allerdings mahnen Kritiker: Die positiven Resultate mancher Kamelmilchforscher seien mit Skepsis zu betrachten, weil umfassende klinische Studien zur Wirkung von Kamelmilch fehlten. Jedenfalls ist gesichert, dass die Kamele auf der Farm in Dubai keine Hormone und keine Antibiotika gespritzt bekommen.

Dieses Gesundheitsversprechen überzeugt nicht nur Emiratis: Seit 2013 dürfen Kamelmilchprodukte der Marke Camelicious auch nach Europa exportiert werden – ob als Joghurt, Käse, Salbe oder Badezusatz. Bis dahin untersagten die strengen Seuchenschutzbestimmungen der EU die Einführung. Mittlerweile gibt es sie auch in Österreich.

Wüstenbrise

Seit 2008 wird auch Schokolade auf Basis von Kamelmilchpulver hergestellt. Rund 100 Tonnen sind das jährlich. Das sei noch steigerungsfähig, allein die Verkaufsmenge der Schweizer Schokoladenhersteller liege bei über 170.000 Tonnen, sagt Martin van Almsick. Der Exilkölner ist Geschäftsführer von Al Nassma (zu Deutsch: erfrischende Wüstenbrise), einem Tochterunternehmen von Emirates Industry.

Bis 2015 war die Schokolade keineswegs made in Dubai. Sie wurde in Wien vom Traditionshaus Manner produziert. Dort war das Know-how vorhanden, um Kamelmilchpulver vom Golf mit Kakao der Elfenbeinküste und Vanille aus Madagaskar zu vermengen. Danach wurde die Multikulti- Schokomasse nach Dubai verschifft und von Al Nassma zu Pralinen oder Tafeln verarbeitet. Damit ist seit knapp einem Jahr Schluss, die komplette Herstellung findet in der Wüste statt. Diese Exklusivität hat ihren Preis. Eine 70-Gramm-Tafel in den Sorten Zartbitter, Macadamia und Orange oder arabische Gewürze kostet etwa bei Meinl am Graben in Wien rund sechs Euro.

Am Ende jedes Besuchs der Schokofabrik in Dubai steht die Verkostung. Und tatsächlich: Kamelmilch im Glas schmeckt weniger nach Fett und hat eine leicht wässrig-salzige Note, aber ohne das intensive Aroma einer Ziegen- oder Schafsmilch. Die Kamelmilchschokolade ist – im Gegensatz zur Kuhmilchschokolade – sehr viel cremiger und weicher. Erinnert so gar nicht an robuste Wüstenschiffe. (Saskia Guntermann & Michael Marek, RONDO, 18.2.2017)

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