Kommen ein Finne (Timo Soini, li.), ein Brite (Boris Johnson), ein Österreicher (Sebastian Kurz) und ein Belgier (Didier Reynders, re.) zusammen, fällt Konsens schwer.

Foto: FOTO: APA/BMEIA/DRAGAN TATIC

Bild nicht mehr verfügbar.

Erdoğan reagierte verschnupft auf das europäische Hickhack.

Foto: REUTERS/Vasily Fedosenko

Brüssel/Ankara – Die Türken könnten nach Worten von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im kommenden Jahr über eine Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen abstimmen. Die Bürger sollten sich aber noch bis zum Ende dieses Jahres gedulden, sagte Erdoğan am Montag in einer Rede in Ankara. Zugleich forderte er die EU erneut auf, sich mit Blick auf die Gespräche zu entscheiden. Der türkische EU-Botschafter hatte zuletzt erklärt, eine Mitgliedschaft bleibe das Ziel seines Landes.

EU-Mitglieder uneins

In der Europäischen Union herrscht Uneinigkeit über das Thema. Das Treffen der EU-Außenminister in Brüssel hat keine Einigkeit im Umgang mit der Türkei gebracht. "Eine klare Haltung der Mitgliedstaaten gibt es. Sie ist nur nicht überall die gleiche", sagte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Während sich sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn ähnlich kritisch hinsichtlich der Türkei äußerte, gab sich der britische Chefdiplomat Boris Johnson zurückhaltend.

Kurz sieht außerdem derzeit keine Chance für weitere EU-Beitrittsverhandlungen und auch nicht für eine Visabefreiung für die Türkei. Diese Bedingungen, welche die Türkei im Gegenzug für das Flüchtlingsabkommen verlangt habe, "sind aus meiner Sicht keinesfalls zu erfüllen". Seitens der EU würden zudem mehr als 600 Millionen Euro an EU-Vorbeitrittshilfen in die Türkei fließen, "Gelder, die wir auch dringend diskutieren sollten". Kurz erwartet eine weitere EU-Debatte zur Türkei im Dezember.

Kommissar Hahn: EU solle klare Orientierung finden

In ihrem jüngsten Fortschrittsbericht hatte sich die EU-Kommission "schwer besorgt" über die nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli durch Präsident Recep Tayyip Erdoğan angestrengte Verhaftungswelle gegen seine Gegner geäußert. Es habe "eine schwerwiegende Verletzung der Rechtsstaatlichkeit" gegeben, sagte Erweiterungskommissar Johannes Hahn bei der Vorstellung des Berichts. Im Vorfeld des Außenministertreffens forderte der ÖVP-Politiker nun die EU-Staaten auf, eine "klare Orientierung" zu finden, "wie wir in den nächsten Wochen die Gespräche" mit Ankara führen sollen.

Bereits im Vorfeld des Treffens zeichnete sich ab, dass eine gemeinsame Haltung unter den Außenministern in der Türkei-Frage nicht zustande kommt. Der britische Außenminister Johnson betonte bei seiner Ankunft, es sei "sehr, sehr wichtig, die Türkei in keine Ecke zu drängen". Außerdem riet er davon ab, "in einer Art und Weise zu überreagieren, die gegen unser gemeinsames Interesse ist". Die Türkei – ein Nato-Bündnispartner – sei in einer "sehr schwierigen Situation" gewesen, sagte Johnson im Hinblick auf den gescheiterten Putschversuch.

"EU kann nicht zusehen"

Weniger Verständnis zeigte Luxemburgs Außenminister Asselborn. Die EU könne "nicht einfach zusehen", wenn die Türkei die Todesstrafe wiedereinführen wolle und Regierungsgegner massenhaft einsperre. "Keiner von uns will die Türkei fallen lassen, allerdings darf die Türkei uns auch nicht fallen lassen", sagte Asselborn. Der Luxemburger hatte zuletzt mit den Forderungen von Wirtschaftssanktionen gegen Ankara für Aufsehen gesorgt. (red, APA, 14.11.2016)