Komplexe Signalkette: Von der Nahrung hängt es ab, welche Zellen aktiviert werden. Wenn es um Zucker geht, sind die Betazellen der Bauchspeicheldrüse am Zug.

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Wien – Man nehme eine Schokoladencremetorte. Zwischen den Biskuitschichten lagert matt glänzende Buttermasse, oben wird die Kreation von Schlagobers und braunen Raspelflocken gekrönt. Wer ein Stück auf dem Teller hat und den ersten Bissen probiert, gerät in Verzückung. Die Kakaoaromen sind eine perfekte Harmonie mit dem sahnigen Geschmack von Milchfetten eingegangen. Genau dieses Zusammenspiel verschiedener Zutaten macht Schokotorte als pompöse Symphonie für Zunge und Gaumen unwiderstehlich.

Ähnlich komplex ist die Wirkung der Torte im menschlichen Körper. Der Zucker gelangt zuerst in die Blutbahn und löst bei den so genannten Betazellen in der Bauchspeicheldrüse Einsatzalarm aus. Diese stellen nun vermehrt Insulin her, das die Speicherung von Glucose in Leber, Muskeln und auch im Fettgewebe stimuliert.

Die Verdauung des Kuchens schreitet derweil weiter voran. Bald kommen auch die ersten Fette über die Darmschleimhaut ins Blut, auch sie müssen untergebracht werden. Für ihre Lagerung sind in erster Linie die körpereigenen Fettdepots zuständig. Die Aufnahme steuern spezielle Hormone.

Überfluss als Normalzustand

Im Blut darf die Fettkonzentration nicht kontinuierlich hoch bleiben, sonst drohen physiologische Schäden. Bei hohen Blutfettwerten wird unter anderem die Insulinproduktion verringert, und die Elastizität der Blutgefäße nimmt ab – zeitweilig um bis zu 40 Prozent, wie der Endokrinologe Hermann Toplak vom Universitätsklinikum Graz erklärt. Als Präsident der Österreichischen Diabetesgesellschaft warnt er: Vereinzelt seien solche Belastungen kein Problem, aber wer sich täglich Kuchen, Torten und Süßigkeiten gönnt, stellt seine Verarbeitungssysteme unter Dauerstress. "Erhöhter Nährstoffzufluss bedeutet für den Menschen nichts Gutes", so Toplak.

In unserer modernen Konsumgesellschaft ist Überfluss allerdings der Normalzustand. Die Folgen: Ob in Wien oder Mattersburg, überall wölben sich die Bäuche. Nicht nur in Österreich. Fachleute sprechen längst von einer globalen Adipositas-Epidemie. Im Kielwasser dieser bedenklichen Entwicklung wird auch ein weiteres Leiden zunehmend zur Volkskrankheit. Die Häufigkeit von Diabetes Typ 2 steigt seit Jahren stetig an. Der Zusammenhang ist offensichtlich, doch die Hintergründe bereiten der Forschung Kopfzerbrechen. Wie zum Beispiel verläuft der Signalaustausch zwischen Fettgewebe und anderen Körperbereichen? Welche Rolle spielen Muskulatur und Blutgefäße, und wo setzt das Immunsystem an?

Unempfindlich werden

Diabetes Typ 2 ist eine erworbene Störung. Sie äußert sich durch einen überhöhten Blutzuckerspiegel, der infolge mangelhafter Glucose-Speicherung entsteht. Insulin steht dabei an zentraler Stelle. Es bindet an eigens für Insulin vorgesehene Rezeptoren auf der Oberfläche von Leber-, Fett- und Muskelzellen und aktiviert so die Aufnahme des Zuckers. Dieser Regelkreis kann beeinträchtigt werden. Die Zellen zeigen sich dann zunehmend insulinresistent, sie sprechen immer weniger auf den Botenstoff an. Im Blut bleibt dadurch ständig Glucose übrig, und das wiederum kann eine Palette an Folgekrankheiten auszulösen – von Nierenschäden bis hin zu offenen Geschwüren.

Mit wachsendem Bauchumfang tritt noch ein anderer Effekt auf: Das Fettgewebe bekommt eine ungesunde Eigendynamik. Es ist keinesfalls bloß Speicher, sondern setzt auch diverse Hormone frei und steht in enger Verbindung mit dem Immunsystem. Letzteres wird in dickeren Fettschichten zunehmend aktiv. Chronische Entzündungsreaktionen sind die Folge, das Gewebe beginnt zu vernarben.

Abgesehen davon hat der Körper Schwierigkeiten, die wuchernden Polster ausreichend zu durchbluten. In ihrem Inneren tritt Sauerstoffmangel auf. Diese Kaskade an Reaktionen verringert letztlich die Aufnahmefähigkeit der Adipozyten, der Fettzellen, auch für Glucose. Die Blutzuckerwerte steigen weiter an, die Bauchspeicheldrüse muss ihre Insulinproduktion noch stärker hochfahren. Die Resistenz in Leber und Muskeln nimmt zu. Abnehmen indes wird für den Betroffenen immer schwieriger. "Je höher der Insulinspiegel, desto weniger kann Fett mobilisiert werden", erklärt Hermann Toplak. Einmal Eingelagertes bleibt dort, wo es ist – insofern ist es ein Teufelskreis.

Braun und bräuner

Fett ist jedoch nicht gleich Fett. Physiologen unterscheiden zwischen weißem, braunem und hellbraunem Fettgewebe. Während Ersteres für die oben beschriebene schädliche Wirkungen verantwortlich ist, bieten die braunen Varianten möglicherweise Abhilfe. Die dunkle Farbe ihrer Adipozyten basiert auf der Präsenz außergewöhnlich vieler Mitochondrien – der mikroskopisch kleinen Kraftwerke im Inneren von Zellen. Braune Adipozyten haben vor allem Heizfunktion. Sie verarbeiten Fett und setzen es zur Aufrechterhaltung der Körperwärme in thermische Energie um. Weiße Adipozyten können bei Bedarf in braune umgewandelt werden. Hellbraunes Fettgewebe ist ein aktives Gemisch aus beiden Typen.

Mit zunehmender Bräunung verringern sich Insulinresistenz und Entzündungsreaktionen. Kälte scheint die Umwandlung zu begünstigen. "Wir sollten möglichst niedrige Umgebungstemperaturen haben", meint Facharzt Toplak. Häufige Spaziergänge an der frischen Luft wären für viele schon ein großer Fortschritt. Vielleicht aber lässt sich das hellbraune Fettgewebe auch medikamentös stimulieren. In Tierversuchen wurde eine derartige Möglichkeit bereits aufgezeigt. Die Entwicklung eines einsatzfähigen Präparats dürfte allerdings noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. (Kurt de Swaaf, 18.11.2016)