Kater Puschl macht es sich auf dem Ural gemütlich. Der schwarz-weiße Stubentiger reckt sich vom Kaspischen Meer bis hinauf nach Sibirien. Herrchen Heinz Vielkind versucht erfolglos, Puschl vom riesigen Russland-Panorama zu verscheuchen, das er auf dem Boden seines Studios ausgerollt hat. Das mehrere Quadratmeter große Werk, auf dem sich der Kater räkelt, kostete 16.000 Euro. Es wurde bezahlt, aber nie abgeholt. Das ist Vielkind in seiner über 60-jährigen Karriere nur ein einziges Mal passiert. Er gilt als Meister seines Orchideenfachs, der Panoramamalerei.

Wer schon einmal auf Skiurlaub war, kennt Vielkinds Gemälde. Die großen Panoramen der Tourismusverbände, auf denen sämtliche Lifte, Pisten und Loipen der Region eingezeichnet sind, stammen großteils aus dem Studio des Innsbruckers. In der Ecke am rechten oder linken unteren Bildrand verewigt sich der Meister mit seinem Namen "Vielkind".

Foto: Heinz Vielkind

Der heute 78-Jährige malt seit 1955 Panoramen. Eine alte Kunst, die einst gleichrangig mit geografischen Darstellungen wie Landkarten war und die heute ein Nischendasein führt. Die aber auch in Zeiten der Digitalisierung überlebt. "Ich kann nicht durch einen Computer ersetzt werden, denn die Chaostheorie für Panoramen gibt es noch nicht", weiß Vielkind. Die detailreichen Panoramen, die er mit Temperafarben zu Papier bringt, sind keine maßstabsgetreuen Abbilder, sondern stellen perspektivisch das dar, was die Auftraggeber für wichtig erachten.

Streit um Lech

Dem Panoramamaler fällt die Rolle des Vermittlers zwischen Realität und Kundenwunsch zu. "Mein schwierigster Auftrag war das Panorama der Arlbergregion", erinnert er sich an einen besonders aufwendigen Fall. Weil sich die Tourismusverbände von St. Anton und Lech permanent uneins waren, was die Größe der Darstellungen anbelangte, musste Vielkind das Bild insgesamt fünfmal komplett überarbeiten.

Lech liegt im Norden und ist aus Blickrichtung Süden auf einer Karte zwar näher am Himmel, aber naturgemäß kleiner. Das missfiel den Lecher Touristikern, die ihre Skipisten ebenso prominent ins Bild rücken wollten wie jene in St. Anton. "Am Ende haben wir über jeden Zentimeter verhandelt, das Bild wurde immer größer und größer", erzählt Vielkind mit einem Schmunzeln.

So muss der Meister bisweilen ganze Berge zurechtdrehen oder sprichwörtlich versetzen, damit die dortige Liftanlage gut zu sehen ist. Aktuell malt er etwa die Dolomiten so, damit diese auf der neuen Panoramakarte des Landes Südtirol gut zur Geltung kommen. Auf seinem großen Schreibtisch, direkt vor der Fensterreihe im lichtdurchfluteten Studio im Zentrum von Innsbruck, arbeitet Vielkind mit viel Akribie.

Hier sieht man die Zugspitze. Lifttrassen und Pistenbezeichnungen kommen erst auf die Bilder, wenn diese das Studio von Heinz Vielkind verlassen haben. Hier wirken die Berge noch jungfräulich.
Bild: Heinz Vielkind

Jeder Pinselstrich muss sitzen. Sommerpanoramen seien schwieriger zu malen als Winterbilder, erklärt Vielkind: "Weil die Farben stimmen müssen." Als Vorlage dienten ihm früher Postkarten, alte Fotos und Landkarten. Heute nutzt er den Onlineservice von Google Earth, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Und wann immer es möglich ist, überfliegt er das zu malende Gebiet: "Ich habe in Innsbruck einen Piloten, mit dem ich seit Jahren zusammenarbeite."

Die Rundflüge im Kleinflugzeug sind für den Panoramamaler einer der schönsten Nebenaspekte seines Berufs. Dieser hat ihn bereits bis nach Japan geführt, wo er seinen bislang größten und schönsten Auftrag erhielt: "Ein 5,60 Meter großes Panorama des Kamikochi-Naturparks, das vor Ort auf über 20 Meter vergrößert wurde." Dreimal besuchte und überflog er dafür die ausgedehnte Bergregion, die noch völlig unberührt ist. Der Auftrag hinterließ einen derart großen Eindruck bei Vielkind, dass sein Firmenschild am Hauseingang seither in Deutsch und Japanisch gehalten ist.

Wirrwarr

Unberührte Natur malt Vielkind nur selten. In der Regel sind es Tourismusverbände, die Bilder bestellen. Wobei das Gewirr an Lifttrassen und Pistenbezeichnungen erst im Nachhinein ergänzt wird. Verlässt ein Panorama sein Studio, wirken die Berge darauf noch jungfräulich.

Sein seltenes Handwerk erlernte Vielkind beim Grafiker Heinrich C. Berann, der als Begründer der Panoramamalerei gilt und mit seinen Werken Weltruhm erlangte. Berann arbeitete ab 1952 in Lans bei Innsbruck, im Jahr 1955 begann Vielkind bei ihm als Auszubildender. "Ich war sehr schlecht in der Schule, nur in Zeichnen war ich gut."

Das Kitzsteinhorn im Winter. Früher dienten dem Panoramamaler Heinz Vielkind Fotos und Landkarten als Vorlagen. Heute nutzt er auch Google Earth. Am liebsten aber überfliegt er die zu malende Gegend.
Bild: Heinz Vielkind

Die internationale Panoramamalerszene ist überschaubar. "Es gibt insgesamt drei, vier gute Leute", schätzt Vielkind. Er kennt die Kollegen jedoch nicht persönlich: "Es gibt bei uns keine Branchentreffen. Jeder arbeitet für sich." Im gesamten Studio Vielkind hängen Werke des Meisters. Riesige Panoramen von Bergmassiven, von Kontinenten und sogar eines des gesamten Meeresgrundes. "Das war eine Auftragsarbeit für 'National Geographic' und die Columbia-Universität", erinnert sich Vielkind an die wochenlange Feinarbeit. "Denn dieses Panorama musste winkelgenau sein, damit die Verhältnisse stimmen." Zum Ausspannen und zur Abwechslung widmet er sich gerne dem Impressionismus: "Da kann man viele schöne Farben benutzen und muss nicht so sehr auf die Details achten."

In Pension will Vielkind noch lange nicht gehen. Er ist nach wie vor ein gefragter Panoramamaler: "Auch wenn ich heute nur mehr drei bis vier Bilder pro Jahr herstelle." Und es gibt da noch diesen einen Auftrag, den er gern machen würde. Vielkind hat so gut wie jede Bergregion Österreichs gemalt, aus seinem Studio stammen Panoramen von Gebirgen auf allen Kontinenten dieser Erde. Nur der Nationalpark Hohe Tauern fehlt ihm bis heute: "Das wäre ein ganz besonderer Auftrag. Dann könnte ich nämlich ein paar schöne Flüge drüber machen, was ja heute eigentlich nicht mehr gestattet ist." (Steffen Arora, RONDO, 3.1.2017)

Auf diesem Bild ist die Gegend um Winterberg (Sauerland) zu sehen.
Bild: Heinz Vielkind