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Erfolgsmodell: "The New European".

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Daniela Kraus, Geschäftsführerin des fjum_forum journalismus und medien wien.

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Seitdem die Briten am 13. Juni für den EU-Austritt gestimmt haben, herrscht Ratlosigkeit: Wie sieht eine Zukunft des Landes nach einem Brexit aus? Erlebt Großbritannien einen wirtschaftlichen Niedergang? Werden sich die Schotten und Nordiren von England abspalten? Die weitverbreitete Verunsicherung unter den Briten brachte Matt Kelly, Chief Content Officer (CCO) des britischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlags Archant, auf eine Idee. Er stampfte innerhalb von nur neun Tagen eine Zeitung namens The New European aus dem Boden. Zunächst plante er nicht mehr als vier Ausgaben: "Eigentlich ging es zunächst nur darum, den verrückten Monat nach der Abstimmung journalistisch zu begleiten und jenen 16 Millionen Briten, die gegen einen Brexit sind, eine Stimme und Orientierung zu geben", sagt The New European-Herausgeber Kelly.

Doch die als Kurzzeitprojekt angelegte Zeitung übertraf alle Erwartungen. Mittlerweile arbeitet das Redaktionsteam an der 18. Ausgabe des New European. Die erste Ausgabe verkaufte sich 40.000-mal, nach einem kurzen Einbruch über die Sommermonate wachsen die Zahlen wieder Woche für Woche. The New European ist wirtschaftlich erfolgreich – in der kriselnden Printbranche eine Ausnahmeerscheinung.

Hoffnungsschimmer

Matt Kelly, der in den vergangenen Jahren Verlagshäuser bei ihren Digitalstrategien beraten hat und Vorstandsmitglied des Global Editors Networks ist, sieht im "Pop-up-Publishing" – also dem blitzschnellen Erstellen eines Printprodukts und dem bewussten Verzicht auf langfristige Planung – einen Hoffnungsschimmer für eine kriselnde Branche. "Mit dem richtigen Design- und Vertriebsteam war es möglich, innerhalb von nur neun Tagen ein völlig neues Produkt zu entwickeln. Natürlich hätten wir auch schnell eine Webseite erstellen können, aber wer hätte das schon gelesen? Außerdem haben wir einen relativ hohen Verkaufspreis angesetzt. Print hat hier gegenüber Online immer noch klare Vorteile."

Nischenprodukt

Von teuren Marktanalysen und Werbemaßnahmen wurde bewusst Abstand genommen. "Da wir uns als Nischenprodukt sehen und es ursprünglich nur wenige Ausgaben geben hätte sollen, konnten wir darauf getrost verzichten", sagt Kelly. Ein Gegenbeispiel: Die Strategie für die Zeitung "The New Day", im Februar vom Verlag Trinity Mirror gelauncht. Die Macher setzen hier auf ein General-Interest-Produkt und investierten in kostspielige Marketingkampagnen. Das Produkt wurde nach nur zehn Wochen eingestellt.

Innerhalb weniger Tage auf den Markt kommen

Ist Pop-up-Publishing also eine Zukunftsstrategie für die Printbranche? The New European zeigt jedenfalls ermutigend, dass gute journalistische Ideen auch anno 2016 ökonomisch erfolgreich sein können. "Der Trick ist, eine aktuelle Nische zu finden, also zum Beispiel eine soziale Bewegung, ein Thema, das Tausende elektrisiert. Aber das Thema kann schnell wieder weg sein und durch andere Themen abgelöst werden", sagt der Medienwissenschafter Klaus Meier von der Universität Eichstätt über den Erfolg von The New European. "Man muss beim Pop-up-Publishing also schnell handeln und innerhalb weniger Tage auf den Markt kommen, jederzeit auf das 'Pop-down' gefasst sein: Die Kalkulation muss sich auch für wenige Wochen rentieren." (Daniela Kraus, 9.11.2016)