Ab 13. November tritt Andy Murray beim ATP-Finale in London erstmals als Nummer eins der Tennisweltrangliste auf.

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Dominic Thiem kann King Andy in London gratulieren.

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Paris – Den Moment der Inthronisation hat sich Andy Murray anders vorgestellt. Nicht ein unter dem Jubel der Zuseher verwandelter Matchball machte den Schotten als ersten Briten zur Nummer eins der Tenniswelt. Die dürre Mitteilung des Kanadiers Milos Raonic, dass er sich verletzungsbedingt nicht dem Semifinale des Masters-1000-Turniers in Paris-Percy stellen könne, verwandelte den fast ewigen Zeiten zur 26. Nummer eins seit Einführung der Weltrangliste im August 1973.

"Es war schon ein bisschen komisch. Man wusste gar nicht, wie man reagieren sollte", beschrieb Murray der BBC den Moment seiner Vollendung. Roger Federer hatte da keine Probleme. "Wir haben einen neuen König in der Stadt. Gratulation, Sir Andy Murray", twitterte der Schweizer, der insgesamt 302 Wochen lang die Nummer eins gewesen war.

Murray geht am Montag in seine erste Woche an der Spitze. "Das ist etwas, wovon ich seit meiner Kindheit geträumt habe, und ich hätte nie gedacht, dass ich es wirklich einmal schaffen könnte", sagte der 29-Jährige, der 76 Wochen, so lange wie keiner vor ihm, die Nummer zwei gewesen war. Nur der Australier John Newcombe war bei seiner Thronbesteigung 1974 mit 30 Jahren älter.

Allerdings muss Murray schon beim ATP-Finale ab 13. November darum kämpfen, seine Position nicht wieder an den Serben Novak Djokovic zu verlieren, der 122 Wochen lang die Nummer eins gewesen war. Beim Königsdrama in London dabei ist Dominic Thiem, der als zweiter Österreicher nach Thomas Muster (1990, 1995 bis 1997) das Finale erreicht hat. Am Montag wird der mit 7,5 Millionen Dollar dotierte Event in der O2-Arena ausgelost.

Und auch Paris

Vorerst darf Murray die Tatsache auskosten, dass er seinen Ruf als Heilsbringer des britischen Tennis doch noch einlösen konnte. Schon mit 18 Jahren galt er als jener Spieler, der dem Vereinigten Königreich den ersten großen Titel seit Fred Perrys Wimbledonsieg 1936 bescheren würde. Murray lieferte, wenn auch spät. 2012 gewann er das olympische Turnier in London und die US Open, im Jahr darauf endlich auch das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon. In diesem Jahr triumphierte er dort ebenso wie bei Olympia in Rio. Insgesamt brauchte es sieben Turniersiege inklusive desjenigen in Wien, um Djokovic zu entthronen. Der vom Sonntag in Paris, mit 6:3, 6:7, 6:4 gegen den US-Amerikaner John Isner geholt, war Draufgabe – die Nummer 42 in einer Karriere, die bisher 53 Millionen Dollar einbrachte.

Murray hat dafür viel probiert. 2014 trennte er sich von Erfolgstrainer Ivan Lendl und verpflichtete die ehemalige französische Spitzenspielerin Amelie Mauresmo. Nach zwei Jahren war diese Partnerschaft am Ende. Murray sei eine "sehr komplexe Persönlichkeit", sagte Mauresmo, er benehme sich auf dem Platz oft ganz anders als im Training oder im Privatleben. Das kostet jetzt Murrays Landsmann Jamie Delgado aus (Lendl ist auch wieder im Boot), der mit dem Star mehr Zeit verbringt als dessen Ehefrau Kim Sears, Murrays Jugendliebe, die im Februar Tochter Sophia gebar.

Die Glücksmomente wiegen ein traumatisches Erlebnis aus der Kindheit auf. Im März 1996 erschoss ein Amokläufer in der Primary School des schottischen Orts Dunblane 16 Kinder und eine Lehrerin, ehe er die Waffe auf sich selbst richtete. Andy Murray und sein um ein Jahr älterer Bruder Jamie – diese Saison übrigens kurzzeitig die Nummer eins der Doppelweltrangliste – überstanden das Massaker unverletzt. 2008 ließ sich Andy Murray das Trauma in seiner Autobiografie Hitting Back von der Seele schreiben. Seine Tenniskarriere soll noch etliche Kapitel länger werden. (lü, 6.11.2016)