In den letzten Tagen ging es ordentlich zur Sache. Wenn es um die Liberalisierung der aus dem Jahr 1859 stammenden Gewerbeordnung mit ihren 80 reglementierten Berufen und 440 freien Tätigkeiten geht, ist Protest vorprogrammiert. Doch diesmal gab es Anlass für Optimismus. Nicht nur Christian Kern und seine Ankündigung eines "New Deal" sorgten für frischen Wind, auch Reinhold Mitterlehner gab sich bis vor kurzem noch äußert reformfreudig. Beide hatten offenbar den Plan, auch innerparteiliche Widerstände zu überwinden.

Wenn es um gemeinsame Interessen geht, sind Parteigrenzen freilich kein Hindernis. So ließen sich Gewerkschafter für eine Aktion der Sparte Handwerk in der Wirtschaftskammer einspannen: In einem Krone-Inserat wurde mit Verweis auf Deutschland vor den Folgen einer Liberalisierung gewarnt. Dort hat die Öffnung der Handwerksordnung allerdings zu einem Anstieg an Neugründungen geführt. Dass nicht alle Jungunternehmen reüssierten, sollte nicht gleich als Beleg für die negativen Auswirkungen der Lockerung herangezogen werden, sondern als Zeichen des Risikos jedes unternehmerischen Handelns.

Auch der Rückgang der Lehrlingszahlen in den freigegebenen Berufen wird derzeit etwas einseitig interpretiert. Dabei sollte fairerweise erwähnt werden, dass das duale System auch im reglementierten Bereich seit Jahrzehnten an Bedeutung verliert. Gründe sind der strukturelle Wandel und die demografische Entwicklung, mit Regulierung hat das wenig zu tun. Doch all das tut wenig zur Sache, wenn es um politische Interessen geht. Und die heißen: Die Wirtschaftskammer sorgt sich um ihr finanzielles Gerüst, das dank Mehrfachmitgliedschaften – für jeden Gewerbeschein fällt die Grundumlage an – mehr als stabil dasteht. Die Gewerkschaft hat in erster Linie das Kollektivvertragssystem im Auge, das auf der Zuordnung der Belegschaften zu den einzelnen Berufsgruppen basiert.

Um beide Sozialpartner kamen die Regierungsparteien nicht herum. Und so wurden die Argumente von Arbeitnehmer- und -geberseite ausgiebig zitiert, als am Mittwoch nur dezente Änderungen an der Gewerbeordnung vorgestellt wurden. Auch wenn einige Schritte in die richtige Richtung gehen: Die Chance einer echten Entrümpelung des Bürokratiemonsters wurde vertan. Dabei war es Mitterlehner, der noch im Juli einen Schein für sämtliche freien Gewerbe in Aussicht gestellt hatte. Vergessen sind auch die Ansagen von SPÖ-Klubchef Andreas Schieder, die Zahl der reglementierten Gewerbe auf 40 zu halbieren.

Der Schutz von Leib, Leben, Vermögen und Umwelt wird also auch künftig äußerst breit ausgelegt werden. Wer Fremde führen und wer frisieren kann, entscheidet eine Prüfungskommission und nicht der Kunde. Und auch der Florist darf sich nicht ohne Befähigungsnachweis dem Markt stellen. Auch wenn es bei Nebenrechten – Zusatztätigkeiten, für die das Unternehmen keine eigene Gewerbeberechtigung hat – und bei Betriebsanlagen substanzielle Verbesserungen gibt: Im Kern bleibt die unter Kaiser Franz Joseph ausgearbeitete Gewerbeordnung erhalten. Allerdings kam man im 19. Jahrhundert noch mit 14 Berufsbeschränkungen aus.

Die Vorgangsweise zeigt vor allem, dass die einstigen Großparteien nicht bereit sind, ihren Vorfeldorganisationen die Stirn zu bieten. Die von Mitterlehner geforderte Umorientierung der Sozialpartner bleibt eine Illusion. (Andreas Schnauder, 2.11.2016)