Knapp 100 deutsch-chinesische Wirtschaftsführer warten im Festsaal des Pekinger Handelsministeriums auf ihre Gastgeber Sigmar Gabriel und Gao Hucheng. Die beiden Minister sollen den gemischten Wirtschaftsausschuss um 13.45 Uhr eröffnen. Auf der Agenda des wichtigsten bilateralen Treffens aus Anlass des Chinabesuchs des deutschen Vizekanzlers steht das Thema "Strukturwandel und regionale Entwicklung" in China und Kooperationen mit der deutschen Industrie. Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig sagt, dass gerade Deutschland mit seinen Erfahrungen beim Umbau des Ruhrgebiets und der neuen Bundesländer dabei punkten könne.

Doch so richtig will seine Botschaft am Dienstag nicht zünden. Denn die illustre Runde muss nicht nur eine halbe Stunde auf Gabriel und Gao warten. Sie wird auch noch von ihnen versetzt. Beide Minister, so heißt es um 14.15 Uhr, hätten die Zeit bei ihrem Essen in "freundschaftlicher Atmosphäre" überzogen und müssten nun direkt zum Termin mit Chinas Premier Li Keqiang. Machnig und Vizeministerin Gao Yan übernehmen spontan ihre Parts. In ihren Reden spielen sie indirekt an, dass es im beiderseitigen Verhältnis knirscht. Gao warnt vor globalisierungsfeindlicher Stimmung und Protektionismus und meint Deutschland. Machnig mahnt: "Marktwirtschaftliche Strukturen brauchen noch einen höheren Stellenwert" – und meint China.

Die Große Halle des Volkes, wo Gabriel und Gao wie vorgesehen Keqiang um 15 Uhr treffen, liegt nur zwei Kilometer vom Handelsministerium entfernt. Aber selbst für ein kurzes Grußwort oder eine telefonisch übermittelte Entschuldigung an die Wartenden und für gute Wünsche für die Zusammenkunft hätten sie keine Zeit gehabt. Chinaerfahrene Unternehmer sagten: "So etwas haben wir noch nie erlebt."

Chinas Regierung ist verstimmt über die Interventionen von Gabriel, um deutsche Schlüsseltechnologien gegen chinesische Übernahmen zu schützen. Peking sorgt sich, dass Gabriels Vorbild Schule machen könnte. Mit seinen Überprüfungen und dem vorläufigen Stopp der beiden chinesischen Übernahmen der Firmen Aixtron und Osram habe er der "Atmosphäre" der deutsch-chinesischen Wirtschaftszusammenarbeit geschadet, schreibt die Global Times: "Gabriel hat auch ein besorgniserregendes Vorbild für andere europäische Länder gesetzt." (Johnny Erling aus Peking, 1.11.2016)