Werden die Spitzenposten im Staat neu besetzt, muss es fast immer schnell gehen.

Foto: Matthias Cremer

Es war das Wochenende nach dem Anruf von Thomas Klestil, das bis heute eines der einsamsten seines Lebens geblieben sei. "Ich war so zerrissen und konnte mit niemandem sprechen. Meine Eltern waren beide tot, Freundin hatte ich keine, ich hab schon viele Leute gekannt, aber richtige Freunde waren das nicht", erinnert sich Heinrich Neisser.

Er spricht vom Jahr 1969. Ein Donnerstag im Frühjahr. Neisser saß in seinem Büro, er war damals Kabinettsmitarbeiter im Büro von Kanzler Josef Klaus. Da läutete das Telefon. Am Apparat: der spätere Bundespräsident Klestil, damals Sekretär von Klaus. "Du sollst Staatssekretär werden", sei er damals gleich mit der Tür ins Haus gefallen. "Sag uns bitte bis in einer Stunde Bescheid, ob du es machst."

Der Kanzler wird ungeduldig

Völlig verdattert sei er gewesen, erzählt Neisser heute. Er habe nicht "den Funken eines Schimmers" gehabt, dass das passieren könnte. Nach zwanzig Minuten kam dann der nächste Anruf: "Klaus wird ungeduldig!" "Tommi", habe Neisser daraufhin gesagt. "Was soll ich denn machen?" Der antwortete: "Mach's." So habe er halt zugesagt. Doch zugetraut habe Neisser sich den Job überhaupt nicht: "Die kommenden Tage saß ich in meiner Wohnung im 15. Bezirk und habe mit der Überlegung gekämpft, es doch nicht zu tun. Ich hatte weder Freude noch Ambitionen. In erster Linie war ich belastet."

Neisser wurde Staatssekretär, später auch Minister, dann Klubobmann der ÖVP. "So schlimm wie beim ersten Mal war es danach nicht mehr", resümiert der heute 80-Jährige die Zeit, diese Minuten oder höchstens Stunden, in denen er eine Entscheidung treffen musste, von der klar war, dass sie sein Leben verändern wird.

Erzählungen dieser Art sind nicht ungewöhnlich. So werden in Österreich die höchsten politischen Ämter besetzt. Minister und Staatssekretäre sind zumeist nicht jene, die sich in dem Aufgabengebiet besonders gut auskennen und sorgsam ausgewählt wurden. Die Selektion ist von parteipolitischen Zwängen getrieben. Damit am Ende alle Bünde, Kammern und die neun Landesorganisationen beider Parteien befriedet sind, werden Ressorts und Namen am Verhandlungstisch im Minutentakt verschoben. Und konnten sich die Spitzenfunktionäre zumindest vorläufig auf einen Kandidaten einigen, muss es schnell gehen. Will der jetzt oder nicht? Man möchte schließlich alsbald ein Team präsentieren.

Wenn kurz alles möglich ist

Eine dieser neuralgischen Minuten, in der gerade alles möglich ist, war jene, kurz bevor der heutige Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter seinen Anruf bekam. Dezember 2013, ein paar Tage vor Weihnachten. Der damalige Wissenschaftsminister Karl-Heinz Töchterle wurde gerade abgesägt. Im ÖVP-Parteivorstand verständigte man sich darauf, den Kärntner Politiker und Unternehmer Werner Wutscher das Agrarressort zuzuteilen. Da soll Tirols Landeshauptmann Günther Platter auf den Tisch gehauen und eine Unterbrechung gefordert haben. Er zog sich dann mit Parteichef Michael Spindelegger zurück. Ohne Töchterle hätte es zu diesem Zeitpunkt keinen Tiroler in der Regierung gegeben.

Kurz darauf kehrten beide zurück. "Wenn du mir in ein paar Minuten einen willigen Tiroler nennen kannst, können wir darüber reden", soll Spindelegger dem Landeschef angeboten haben. Schon klingelte das Handy des gebürtigen Brandenbergers Rupprechter, der gerade in Brüssel seine Kinder hütete. Fünf Minuten hatte er Zeit, um den Ministerposten anzunehmen.

Handy im Lautlosmodus

Muna Duzdar, seit Mai Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung, hatte ihr Handy gerade im Lautlosmodus, als der Kanzler anrief. "Ich war im Wald spazieren, da sehe ich, dass ich eine SMS bekommen habe", erzählt sie. Inhalt: "Bitte um Rückruf. Christian Kern." Duzdar habe bis zu diesem Zeitpunkt nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass sie für ein Regierungsamt infrage kommen könnte.

"Ich hab dann natürlich sofort zurückgerufen und wir haben ein Treffen für den nächsten Tag vereinbart." Die Stunden dazwischen seien schleppend vergangen. "Geschlafen habe ich kaum", sagt Duzdar. Am Morgen darauf kam das Angebot. Sie sagte sofort zu. "Dann ging es los mit den Anrufen. Jeder, der jemals meine Handynummer hatte, hat versucht, mich zu erreichen."

Zwar abgehoben, aber zuerst einen Scherzanruf vermutet, hatte die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky. Im Jahr 2007 wurde die Ärztin früh morgens vom damaligen ÖVP-Chef Wilhelm Molterer kontaktiert – sie hat dessen Stimme aber nicht gleich erkannt. Ob sie Ministerin werden wolle, fragte er sie. "Welche Ministerin?", fragte sie ungläubig zurück. Gut zwei Stunden später wurde Kdolsky bereits vor Medienvertretern als neue Chefin des Gesundheitsressorts präsentiert.

Der ehemalige österreichische Kanzler Fred Sinowatz formulierte es einst so: "Es gibt keine Qualifikation für einen Minister. Jeder kann Minister werden." Manchmal ist es aber trotzdem gar nicht so einfach, die Spitzenposten im Staat zu besetzen. Aus dem Jahr 2000 ist überliefert, dass Wolfgang Schüssel ganze elf Absagen bekam, bevor sich schließlich der Rechnungshofbeamte Alfred Finz bereiterklärte, im schwarz-blauen Team den Staatssekretär zu machen.

Namensverwechslung

Auch gar nicht selten, man will es kaum glauben, werden in der Hektik Namen verwechselt. So wäre schon mehrfach fast der Falsche Minister geworden. Oberösterreichs damaliger Landeshauptmann Josef Ratzenböck hat seinem ÖVP-Chef Alois Mock im Jahr 1997 zum Beispiel den Landesschulratspräsidenten Eckmayer als Unterrichtsminister vorgeschlagen. Mock versteht Ettmayer. Der Linzer ÖVP-Mann Wendelin Ettmayer ist daraufhin voller Vorfreude und geriert sich in Zeitungen als Minister in spe. Dann wird das Missverständnis aufgelöst. Schlussendlich bekam keiner der beiden den Posten.

"Solche anekdotischen Dinge passieren immer wieder. Das sind Betriebsunfälle, die letztlich daran liegen, dass Personalentscheidungen immer in Kürze getroffen werden", sagte Ex-Vizekanzler Erhard Busek in einem Interview. Neisser hat auch noch eine weitere Geschichte parat: Im Jahr 1975 fuhr er mit dem Zug nach Niederösterreich, um seinen Bruder zu besuchen. Kaum ausgestiegen, gratuliert ihm der zur neuen Funktion als ÖVP-Wehrsprecher. "Im Zug konnte mich niemand erreichen. Mein Bruder hat das im Fernsehen erfahren – vor mir." (Katharina Mittelstaedt, 29.10.2016)