Der französische Regisseur Olivier Assayas.

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In Olivier Assayas' Clouds of Sils Maria verkörperte US-Star Kristen Stewart die persönliche Assistentin eines französischen Filmstars, der von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht wurde. In seinem neuen Film Personal Shopper erledigt sie die Modeeinkäufe für ein Model und nimmt Kontakt mit ihrem verstorbenen Bruder auf. Assayas verknüpft die Introspektion der Lebenskrise einer jungen US-Amerikanerin in Paris mit Elementen eines übersinnlichen Thrillers.

Manchmal probiert die Einkäuferin auch selbst die Kleidung an: Kristen Stewart in Olivier Assayas' "Personal Shopper".
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STANDARD: Hat sich Ihr neuer Film direkt aus dem vorangegangenen entwickelt?

Assayas: Bewusst oder unbewusst ist es definitiv eine Weiterentwicklung. Eigentlich sollte ich einen ganz anderen Film drehen, einen Genrefilm in Kanada, einen "True Crime"-Stoff, der dann abgesagt wurde, weil er zu teuer gewesen wäre. Ich musste schnell etwas Neues finden, anders wäre das nicht auszuhalten gewesen. Die Figur von Maureen, die im Film von Kristen Stewart verkörpert wird, hätte ich nicht schreiben können ohne den vorangegangenen Film. Ich habe Kristen gewissermaßen während unseres ersten Drehs für mich entdeckt – ich war natürlich glücklich mit der Tatsache, dass sie Teil des Ensembles war, habe aber erst während des Drehs herausgefunden, wozu sie in der Lage ist. Ich hatte den Eindruck, dass sie viel weiter gehen könnte, als es ihre Rolle verlangte, wenn man ihr den notwendigen Raum und die entsprechende Freiheit gibt.

STANDARD: Der Film deglamourisiert diese Figur, aber auch die Schauspielerin. Das verbindet sich mit einem Paradox: Ihre Tätigkeit ist im Umfeld der Modeindustrie angesiedelt, aber ihr Outfit eher schlicht.

Assayas: Genau, der Film erzählt von der Spannung zwischen einem entfremdeten Tagesjob und den Träumen, die jemand hat. Wenn Sie diese Geschichte in so einem Umfeld des Luxus ansiedeln, wird der Kontrast umso brutaler. Zugleich gefiel mir diese Figur, die herauszufinden versucht, was sie will, und sich dabei auch mit ihrer eigenen Weiblichkeit auseinandersetzen muss – etwas, das sie nicht kontrollieren kann.

STANDARD: Hatte Kristen Stewart angesichts der Tatsache, dass diese Figur so anders ist als jene, die sie in US-Filmen verkörpert hat, Anpassungsschwierigkeiten?

Assayas: Nein, gar nicht. Das Entscheidende ist der Raum und die Freiheit, die man einem Schauspieler gibt. Ich hatte den Eindruck, das hat ihr an Clouds of Sils Maria gefallen. Amerikanische Filme gewähren ihren Schauspielern nicht diese Art von Raum, dafür sind sie zu kontrolliert. Kristen bemerkte also, dass sie bei einem unabhängigen europäischen Film Sachen über sich und über ihre Schauspielkunst entdecken konnte, die sie bisher nicht kannte. Ich musste sie in keinster Weise ermutigen – sie war mir immer einen Schritt voraus.

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STANDARD: Bedeutet "einem Schauspieler Raum geben", dass er die eigene Figur selbstständig erforschen und ausarbeiten kann?

Assayas: Amerikanische Schauspieler arbeiten gern in europäischen Filmen, weil ihr Raum im Hollywoodkino immer mehr schrumpft. Der Einfluss von Marketingabteilungen und Anwälten wird immer größer, die Schauspieler werden in Rollenkorsetts gezwängt, die es ihnen nicht erlauben, ihr Potenzial zu entfalten, während das europäische Kino ihnen das ermöglicht.

STANDARD: Sie wird im Presseheft zitiert mit der Äußerung, Sie seien ein Filmemacher, der vom Kopf her kommt, dem es aber in diesem Film gelungen ist, sehr intime Emotionen auszudrücken. Hat Sie das überrascht?

Assayas: Nein, sie hat schon ein gutes Gespür fürs Filmemachen. Ich bin ein Autor, also bin ich an Ideen interessiert. Aber im Kino muss man in der Lage sein, sich beim Drehen von bestimmten Konzepten zu trennen. Deswegen schätze ich Schauspieler und Schauspielerinnen, die etwas Physisches haben – Körpersprache ist ein essenzieller Teil in meinen Filmen. Ich glaube, gerade weil mein familiärer Hintergrund intellektuell ist, bin ich umso mehr am Physischen interessiert.

STANDARD: Wie verhält sich die Idee, dass die Protagonistin versucht, Kontakt mit ihrem toten Bruder aufzunehmen, zu Ihrer eigenen Identität?

Assayas: Diese Frau arbeitet am Rand der Modeindustrie, ist gewissermaßen das Lumpenproletariat der Modeindustrie. Warum nicht den Traum, in eine ganz andere Welt zu entkommen, wörtlich nehmen? Ich erinnerte mich an eine Freundin, die diese Gabe hat, die in San Francisco lebt und dort Häuser daraufhin untersucht, ob es dort Geistererscheinungen gibt. Als ich mich damit beschäftigte, begriff ich mehr und mehr, was es war: Jemand versucht, Kontakt herzustellen mit etwas, das unsichtbar ist.

STANDARD: Sie balancieren dabei zwischen Fiktion und Fakten. So beziehen Sie Victor Hugos Protokolle seiner spiritistischen Sitzungen mit ein.

Assayas: Das war bekannt, aber vollständig veröffentlicht wurden sie erst vor wenigen Jahren. Sie lesen sich erstaunlich modern, als seien sie im 20. Jahrhundert geschrieben worden. Ich würde so weit gehen, dass sie vielleicht seine beste literarische Arbeit sind. Die Trance, in die er sich dabei versetzt hat, inspirierte seine späteren Arbeiten in hohem Maße. (Frank Arnold, 29.10.2016)