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Die Zeit tickt. Sie vergeht in Minuten und Wochen, in der Wiederkehr saisonaler Sonnenstände und in pendelnden Energiezuständen von Elektronen in Atomuhren.

Foto: AP / Axel Heimken

Ein Mann in seiner Lebensmitte, gestrandet in trostloser Arbeit und Ehe, doch die Midlife-Crisis trägt seltsame bis rührende Blüten: Lester, verliebt in die Freundin seiner Tochter, erlebt eine zweite Pubertät, inklusive Muskeltraining, Kiffen und Job im Fastfood-Lokal. "In weniger als einem Jahr werde ich tot sein", erzählt Kevin Spacey am Beginn von Sam Mendes' wunderbarem Film "American Beauty" aus dem Off, bevor sich die Geschichte des Mannes mit dem lächerlichen Ansinnen, die Zeit zurückzudrehen und wieder jung zu sein, entspinnt.

Seine pubertären Anwandlungen bezahlt Lester mit dem Leben. Die vergangene Zeit lässt sich nicht zurückholen. Immerhin, er hat noch einmal die vorzeitige Leichenstarre seiner Vorstadtexistenz durchbrochen und gelebt, intensiv gelebt. Mendes' Gesellschaftskritik über den ausgehöhlten amerikanischen Traum aus dem Jahr 1999 ist mit einer großartigen Poesie der Vergänglichkeit grundiert.

Seine Vergänglichkeit macht den Menschen erst zum Menschen. Der Wert des Jetzt, er wäre nichts ohne den Tod. So wie Sterben noch ein Akt des Lebens ist, so hat der Tod nichts mehr mit uns zu tun. Er ist außerhalb unserer Zeit. Als Trost bleibt vielleicht nur die Wiederkehr in veränderter Genetik nachkommender Generationen.

Grundlegende Zeiterfahrungen

Die Zeit tickt. Sie vergeht in Minuten und Wochen, in der Wiederkehr saisonaler Sonnenstände und in pendelnden Energiezuständen von Elektronen in Atomuhren. Sie vergeht, wenn wir uns im Warteraum eines Bahnhofs auf sie konzentrieren, oder unbeachtet im Takt der Musik. Egal welche Haltung der menschliche Betrachter zu ihr einnehmen mag – sie vergeht. Nur im Inneren können wir sie durchbrechen, durch Erinnerung und Geschichte, durch Pläne und Antizipation.

Vergänglichkeit und Wiederkehr sind grundlegende Zeiterfahrungen des Menschen, die die Mythologien prägen. Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und Sterben bestätigen sie stets aufs Neue. Sonnenauf- und -untergang verändern sich kontinuierlich, die Jahreszeiten lassen sich daran festmachen. Beobachtet man, wo der tägliche Sonnenlauf den Horizont trifft, lassen sich vier Punkte identifizieren, die die längste Nacht und den kürzesten Tag, den längsten Tag und die kürzeste Nacht kennzeichnen: Winter- und Sommersonnenwende.

Markiert man diese Punkte relativ zu einem Beobachter, etwa mithilfe von Steinen, hat man ein primitives Observatorium. Ein Observatorium, wie es – neben anderen Zwecken – mutmaßlich auch die Kultstätte von Stonehenge war.

Zeitregelung als religiöses Anliegen

Im Verlauf der Menschheitsgeschichte begann man das Verrinnen der Zeit auf vielerlei Art zu strukturieren. Nanosekunden und Epochen, Feiertage und Jahreswechsel, Steckkalender und Smartwatches waren das Ergebnis. Die Verwaltung der Zeit war die längste Zeit an die bestimmenden Welterklärungsmodelle der Religion gebunden. "Vom frühen dritten Jahrtausend vor Christus bis zum späten 16. Jahrhundert nach Christus war die genaue Zeitregelung ein religiöses Anliegen und Sache der Priester", schreibt Althistoriker Alexander Demandt in seiner 2015 erschienenen Abhandlung "Zeit. Eine Kulturgeschichte", die die verschlungene Geschichte unserer Zeitbegriffe kenntnisreich nachvollzieht.

Das Fernsehen der Antike war der Nachthimmel: Die wiederkehrenden Konstellationen der Gestirne hatten eine ungeheure Präsenz im Leben von Menschen, die kaum mehr als Talg- und Öllampen als künstliche Beleuchtung kannten. Schon lange bevor Ptolemäus etwa 150 nach Christus Sternbilder systematisierte, gaben sie den Menschen Orientierung auf See, erzählten Geschichten, sagten die Zukunft voraus.

Der Mond wurde neben der Sonne zum wichtigsten Taktgeber für die Entwicklung der Kalender und war etwa der wichtigste Zeitmesser der jüdischen Bibel. Die antike Welt war durch die Jahrhunderte geprägt von einem wilden Wirrwarr von Kalendern, unterschiedlichen Jahresanfängen und Zählweisen, geht aus Demandts Kulturgeschichte hervor. Die Harmonisierung von Sonnen- und Mondjahr stellte ständig vor Probleme.

Sucht man nach den ältesten Vorrichtungen, um die Abfolge der Zeit zu strukturieren, tauchen immer wieder die Ägypter auf. Bei ihnen sind frühe Sonnen- und die ersten Wasseruhren belegt, bei denen mit Wasser in einer Verengung auch die Zeit verfließt. Mit dem Christentum werden Zeitangaben präziser, die Stunden gewinnen im Neuen Testament an Bedeutung.

Erst im Mittelalter taucht eines der nachhaltigsten Symbole für das Verrinnen der Zeit auf: Sanduhren, die die Fertigkeit der Glasbläserei erforderten. Sie dienten etwa dazu, auf Schiffen den Tagesablauf zu regeln.

Als eine Stunde 100 Minuten hatte

Bis zur Einigung auf eine weltweit gemeinsame Zeit verstrichen Jahrtausende. In der Neuzeit wich das zyklische einem linearen Zeitverständnis. Mit dem Aufstieg des Bürgertums und der industriellen Revolution gewann die stetige Verfügbarkeit einer aktuellen Uhrzeit an Bedeutung. Ein Kuriosum im Zählen der Stunden brachte die Französische Revolution.

Der Zwölf-Stunden-Tag, der die Zeitrechnung seit der frühen Antike prägte, wurde zugunsten der Dezimalzeit abgeschafft. Der Tag wurde also in zehn Stunden mit der 2,4-fachen Länge der üblichen Stunden geteilt. Diese Dezimalstunde bestand aus 100 Minuten zu je 100 Sekunden. Es wurden einige Uhren nach diesem Schema gebaut, insgesamt war es aber wohl etwas mühsam, sich umzugewöhnen: Schon 1795 wurde diese Art der Zeitrechnung wieder ausgesetzt.

Bis ins 19. Jahrhundert hatten viele Städte noch ihre eigene Zeit. Spätestens das Aufkommen der Eisenbahnen erhöhte den Druck hin zu einer verbindlichen Normalzeit. In den 1890ern vereinbarten Berlin und Wien eine "Mitteleuropäische Eisenbahnzeit". Auch die Kriege des 20. Jahrhunderts würfelten je nach Siegen und Besatzungen die Zeiten durcheinander, auch die Sommerzeit ist ihnen geschuldet: Der 1. Mai 1916 begann im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn schon am 30. April um elf Uhr nachts.

Das Ziel war, angesichts der Materialschlachten des Weltkriegs Kohle zu sparen. Nach dem Auslaufen 1919 führte Hitler die Sommerzeit im Deutschen Reich 1940 wieder ein, 1948 wurde die Uhr in Deutschland und Österreich vorerst ein letztes Mal umgestellt, doch 1980 kehrte die Sommerzeit wieder zurück. Beliebt war die Maßnahme schon 1916 nicht, für Diskussionen sorgt sie bis heute. Das Zusammenbringen von Natur und menschlichem Zeitraster – es stellt nach wie vor vor Probleme.

Die innere Uhr

Die immer genauere Vermessung lässt die Menschen Zeit als etwas wahrnehmen, was außerhalb ihrer Köpfe unabhängig von ihnen vergeht. Man könnte vergessen, wie sehr die Zeit in uns eingebaut ist. Durch unsere innere Uhr, den Hormonhaushalt, der sich an Tag und Nacht orientiert, nicht zuletzt durch unseren Verfall, unsere Vergänglichkeit. Keine Uhr misst nostalgische Erinnerung, keine die Erwartung eines Wiedersehens.

Lester blickt in "American Beauty" aus dem Jenseits auf sein "dummes kleines Leben" zurück, das für ihn zugleich wunderschön war. Tod und Liebe sind Archetypen künstlerischer Betätigung, die sich wie die beiden Enden einer Sanduhr ergänzen: Angesichts des Todes, der das Leben quantitativ beendet, gewinnt die Qualität des Lebens, seine Schönheit, an Bedeutung. Natürlich speist sich Schönheit aus Vergänglichkeit. (Alois Pumhösel, 29.10.2016)