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Für die Amerikaner wäre es "schockierend", wenn Donald Trump das Ergebnis im Fall einer Niederlage nicht akzeptieren würde, sagt Jeffrey Goldberg.

Foto: REUTERS/Jonathan Ernst

STANDARD: Es sieht so aus als würde das Phänomen Trump nach der Wahl am 8. November nicht unbedingt vorbei sein. Sehen Sie Parallelen zwischen dem Aufstieg der Rechten in Europa und dem Wahlkampf von Donald Trump?

Goldberg: Sie sind sehr stark miteinander verbunden. Im Grunde ist es ein Konflikt zwischen Globalisten und Lokalisten. Ich bin immer davon ausgegangen, dass Europa ein Problem mit Populismus und Nativismus in all seinen Ausformungen hat. Und dann passiert plötzlich Trump. Es hat viele überrascht, wir hätten nicht gedacht, dass so etwas auch in den USA so schnell passieren kann. Aber man merkt schon die Verbindungen, wenn man sich zum Beispiel ansieht, wie sich die Brexit-Vertreter mit Trump anfreunden und umgekehrt. Es geht darum, die Ängste vor Globalisierung, Migration, technologischer Veränderung und Freihandel auszubeuten. Trump benutzt genau dieselben Argumente wie die rechten Bewegungen in Europa.

STANDARD: Trump hat nicht ausgeschlossen, das Wahlergebnis anzufechten. Deutet das darauf hin, dass die Demokratie in den USA nicht so stark verankert ist, wie allgemein angenommen wird?

Goldberg: Die Demokratie ist stabil, die Wahrnehmung ist allerdings eine andere. Vieles hängt davon ab, wie weit die beiden Kandidaten auseinanderliegen. Wenn Clinton klar gewinnt, wird es schwierig sein, glaubhaft zu machen, dass er über den Tisch gezogen wurde. Wenn es knapp wird, habe ich keine Zweifel, dass er die Wahl anfechten wird. Falls es in einigen Bundesstaaten sehr, sehr knapp wird, gibt es eine automatische Wiederholung der Stimmenauszählung. Das System ist solide und hat Sicherheitsmechanismen. Trump will, dass die Leute das nicht glauben. Aber es ist sehr schwierig, Ergebnisse zu manipulieren, weil sich alles auf lokaler Ebene abspielt. Die Sache, die er psychologisch am meisten fürchtet, ist, Verlierer genannt zu werden. Zu verlieren passt ihm nicht, mit diesem Gedanken kann er sich nicht anfreunden. Für Amerikaner ist das sehr schockierend. Es war für die Kandidaten, die unterlegen waren, immer wichtig zu betonen, dass der Kontrahent nun der Präsident für alle ist.

STANDARD: Einer breiteren Öffentlichkeit sind Sie durch Ihre Interviews mit Präsident Barack Obama bekannt. Sie hatten über die vergangenen acht Jahre hinweg einen Zugang zu ihm, wie ihn wohl sonst kein Journalist hatte. Wie haben Sie sich sein Vertrauen erarbeitet?

Goldberg: Ich rede seit zehn Jahren mit ihm, seit er im Senat war. Es hat mich schon damals interessiert, wie er über nationale Sicherheit und Außenpolitik denkt. Genauer: die Art und Weise, wie er gewisse Annahmen hinterfragt. Ich bin dann immer wieder mit ihm zusammengetroffen, und wir haben über spezielle Themen gesprochen. Mit der Zeit wurden die Gespräche immer ausufernder, und ich habe ihn dann gefragt, ob wir ein sehr langes Gespräch über seine Weltsicht machen könnten. So ist dann der Artikel "Obama Doctrine" entstanden.

STANDARD: Ihre Kritiker sagen, sie stünden Obama zu nahe. Bei welchen Themen stehen Sie ihm diametral entgegen?

Goldberg: Man sieht die Fragen, die ich stelle, und die Antworten. Das Ziel ist, der mächtigen Person eine wahrheitsgemäße Antwort zu entlocken. In "Obama Doctrine" versuche ich meine eigene Einschätzung zu verstecken. Aber ich habe mehrmals darüber geschrieben, in welchen Punkten ich ihm widerspreche. Obama ist sehr überlegt, aber oft gehen seine Gedanken nicht in die Richtung, in die zum Beispiel ich persönlich gehen würde. Die "rote Linie" in Syrien ist so ein Beispiel. (Obama erklärte einen Chemiewaffeneinsatz Assads zur "roten Linie", intervenierte 2013 aber dennoch nicht, Anm.) Ich stimme der Erklärung nicht zu, verstehe aber, warum er sich in dieser Situation so verhalten hat.

STANDARD: Am Beginn des Syrien-Kriegs in den Jahren 2011 und 2012 gab es die Einschätzung, dass eine Intervention gegen Assad erfolgreich sein könnte. Hat Obama hier einen Moment ungenutzt verstreichen lassen?

Goldberg: Meine Einschätzung ist, dass er hier eine Chance vertan hat, die Situation zumindest zu beeinflussen. Aber ich verstehe auch sein Argument: Es wäre so und so bergab gegangen, egal ob sich Amerika engagiert oder nicht. Und er blickt da gleichzeitig Richtung Irak – seine Schablone.

STANDARD: Was wird sich mit Hillary Clinton als wahrscheinlicher Präsidentin außenpolitisch ändern?

Goldberg: Sie hat definitiv die Tendenz, außenpolitisch "tätig" zu werden. Ich verstehe ihre außenpolitischen Instinkte besser als die von Obama. Als Außenministerin wollte sie die Intervention in Libyen, sie wollte mehr Engagement in Syrien. Obama blickt auf eine außenpolitische Situation aus der Perspektive: Was kann ich tun, um darin nicht langfristig verstrickt zu werden? Clinton hingegen blickt durch die Linse: Was kann ich tun, um die Situation zu verbessern? In der unterschiedlichen Herangehensweise zeigen sich die unterschiedlichen Temperamente und Ausgangslagen und der mehr oder weniger große Glaube daran, dass die USA außenpolitische Ergebnisse beeinflussen können. Obama ist bezüglich des Nahen Ostens sehr fatalistisch. Er glaubt nicht, dass Amerika das Verhalten der Akteure beeinflussen kann, deshalb ist er auf Distanz gegangen. (Teresa Eder aus Washington, 28.10.2016)