Dominic Thiem hat Wucht und Präzision in seinen Schlägen.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Jürgen Melzer genießt den schönen Moment, applaudiert dem Publikum und sich selbst. Im Alter, sagt er, genieße man die Siege mehr. "Weil man weiß, es hat sich alles gelohnt".

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien – Gerald Melzer ist "nur auf der Reise" gewesen. Natürlich ist der 26-Jährige, der sich bis auf Platz 74 hochgedient hat, am Dienstagabend schon in der Wiener Stadthalle geblieben. Aber es war ein hoffnungsloser Ausflug, eine Rennerei ohne Wert. Dominic Thiem gewann das innerösterreichische Erstrundenduell 6:0, 6:3, das war schamloses, großartiges, fehlerfreies, wuchtiges Tennis. Jürgen Melzer, Geralds um neun Jahre älterer Bruder, sollte später sagen: "Monster-Tennis." Die mit knapp 2,5 Millionen Euro dotierten Erste Bank Open können jetzt schon als gelungen abgehakt werden, obwohl sie erst am Sonntag enden. Die Halle wird bis zum Schluss prall gefüllt sein.

Und Jürgen Melzer rührte, weckte nostalgische Gefühle. Der alte Mann und das Tennis haben noch einmal zueinandergefunden. Ausgerechnet in Wien, wo er 2009 und 2010 den Titel geholt hat. 2016 schlug er den Weltranglisten-14. Roberto Bautista Agut 6:3, 7:5. Jenen Spanier, der vor eineinhalb Wochen im Halbfinale von Schanghai Novak Djokovic in den Wahnsinn trieb, der Serbe zertrümmerte Rackets, riss sich das Leiberl vom Leib, war nach der Niederlage fast unansprechbar. Melzer hatte gegen Bautista Agut "den perfekten Matchplan".

Nach einer schweren Schulterverletzung und einer komplizierten Operation ist er auf Platz 417 zurückgefallen. Via Challengerturniere versucht er sich wieder hochzudienen, das ist mühsam und teuer, er lebt von den angesparten Reserven, man muss sich um den 35-Jährigen nicht sorgen, schließlich ist er einst die Nummer acht gewesen. Dank einer Wildcard durfte er wieder eine große Bühne betreten, er genoss die Ovationen, lehnte kein einziges Selfie ab, hielt sich danach im Foyer auf, schüttelte ihm völlig fremde Hände. "Toll und geil. Ich bin dankbar, so etwas erleben zu dürfen, wunderbare Emotionen, für so einen Moment hat sich alles gelohnt."

Realismus und Druck

Natürlich sei ein gewisser Realismus eingekehrt. "Ich werde nicht mehr in die Top 20 kommen, dieser Druck exsistiert für mich nicht mehr. Druck haben Leute wie Thiem." Die Regeneration dauere viele länger, man müsse schlau sein, auf den Körper horchen. "Einige Rückenwirbel sind ziemlich degeneriert. Trotzdem habe ich noch große Matches in mir. Ich verliere natürlich gegen viele, gehe aber nicht unter." Der 23-jährige Thiem verliert gegen wenige, logisch, er ist die Nummer neun. Und am Donnerstagabend im Achtelfinale der Favorit gegen den Serben Viktor Troicki.

Thiem lässt die "Galanacht des Sports" im Austria Center aus, dort wird der beste Athlet gekürt, es dürfte Marcel Hirscher werden. "Ich vergönne es jedem. Aber ich spiele sowie tausendmal lieber Tennis, das ist die weit schönere Alternative." Die Teilnahme am ATP-Finale der acht Erlauchten ist praktisch fix, es geht am 13. November in London los. Thiem befasst sich offiziell damit nicht, "ich bin voll auf Wien konzentriert". Es müssten mehrere Teufel aufwachen, damit der Showdown ohne ihn stattfindet. Jürgen Melzer wischt alle Bedenken weg. "Er ist dabei, und er ist verdient dabei. Dominic ist ein Tennis-Monster." Das Monster hat ein leichtes Zwischentief überwunden. "Physisch bin ich wieder so wie im Sommer drauf. Und auch der mentale Part passt."

Jürgen Melzer darf am Donnerstag erneut die große Bühne betreten. Gegner ist der Spanier Albert Ramos Vinolas, der den Italiener Fabio Fognini glatt schlug. Melzer gewann das bis dato einzige Duell. "Schwimmen und Tennis verlernt man nicht", sagt er. Auf Thiem könnte er erst im Finale treffen, aber allein schon der Gedanke dran "ist verrückt".

Bruder Gerald sagte, als er den Schock nach den Monsterwatschen überwunden hatte, er sei noch nicht "am Ende der Fahnenstange" angelangt. Jürgen war schon dort. "Ich bin jetzt so weit, dass ich nicht untergehe." (Christian Hackl, 26.10.2016)