"Bentleyreifen sind urviel wert, so viel wie ein Kleinwagen", war der Satz, der die Runde machte. Darüber hatte noch niemand nachgedacht.

Foto: Guido Gluschitsch

Zaungast werden: Das passiert und hat seine eigene Dynamik und Wendungen. So viel vorweg: Nicht immer ist das Leben ein linearer Aufstieg. Da war diese Familie, die mit wenig Budget begann. Freundlich, distanziert und vor allem recht unscheinbar. Aber dann passierten Dinge in deren Leben, die jedes Jahr ein neues Auto vor die Tür zauberten. Über die Jahre wurde die ganze Preispalette des Autoangebots durchgespielt. Besser, schöner, stärker. Als die Dame des Hauses mit einem dicken Mercedes und der Paterfamilias mit einem dunkelblauen Bentley durch die Stadt kutschierten, dachten die Zaungäste: Die haben wirklich den Olymp erreicht.

Und irgendwann...

Dann aber plötzlich: Finanzpolizei, Exekutor. Und irgendwann war alles weg. Nicht nur die Autos, sondern bald auch die Wohnung und die Besitzer selbst. Was blieb, waren ein semi-erwachsener Sohn und vier Bentleyreifen in der Garage, die irgendwie übersehen wurden. Die Reifen wurden für den Spross der Familie eine Art Neuanfang. "Bentleyreifen sind urviel wert, so viel wie ein Kleinwagen", war der Satz, der die Runde machte. Darüber hatte noch niemand nachgedacht.

Allein: Bentleyfahrer scheinen überhaupt kein Interesse an Secondhandreifen aus dem Internet zu haben. Die kaufen sie wahrscheinlich neu, wenn sie diese brauchen. Kein Käufer, keine Kohle. Nur der ideelle Wert blieb stabil. Deshalb wurde aus den Bentleyreifen ein Couchtisch. Mit einem Tablett und Deckerl drauf. Er steht vor einem Sofa, das mit einer Mercedesdecke geschont wird – auf der nehmen die Zaungäste ab und zu Platz. Und riechen den dezenten Duft von Edelgummi. (Karin Pollack, 24.10.2016)