"So wahr mir Gott helfe": Die neue Plakatserie des Hofburgkandidaten Norbert Hofer.

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Waren Sie in letzter Zeit einmal wochentags zum Gottesdienst in einer Kirche in der Stadt? Einerlei ob katholisch, evangelisch, ob Großstadt, Bezirkshauptstadt oder in der Bundeshauptstadt. Da bietet sich der Besucherin ein trauriges Bild. Vereinzelt sitzen vorwiegend hochbetagte Gläubige in den ersten Reihen, manchmal ein zu spät Gekommener ganz hinten. "Eigentlich könnte ich jeden Besucher in der Predigt namentlich ansprechen", hat eine Pfarrerin – ich bin evangelisch, das gibt es bei uns – mir unlängst resignativ geklagt.

Die Kirche leidet unter Besucherschwund. Und das bekommen die Gläubigen auch zu spüren. Manche Gotteshäuser können sich die Heizkosten im Winter kaum noch leisten. Da heißt es manchmal unter der Woche frieren für den Glauben. Das setzt vor allem den Älteren zu, die meist durch Krankheit ohnehin schon geschwächt sind. Die Kirche, das wird einem bei solchen Besuchen schnell klar, ist längst kein Ort mehr, um die Massen hinter sich zu versammeln. Die Spinnweben auf den Madonnenstatuen, der Staub zwischen den Sitzbänken, die abgegriffenen Gesangsbücher. Sie alle sind stumme Zeugen vom Niedergang einer Institution. Die Menschen glauben nicht mehr. Oder sie glauben eben an etwas anderes als an das ewige Leben. An Handyakkus und Ladestationen für ihre Laptops, an Detoxkuren mit grünen Säften und den Spabereich in Thermenlandschaften, an Facebook-Likes und die Steuerrückzahlung.

Religion und Kirche, das hat für viele einen schalen Beigeschmack. Erzwungene Gottesdienste in der Schulzeit, überholte Wertediskussionen zu Hause, tyrannische Pfarrer im Internat. Das passt nicht in eine moderne, aufgeklärte und digitalisierte Welt. Und sie haben auch recht damit.

Für mich haben religiöse Rituale etwas Beruhigendes. Gerade in dieser Jahreszeit, wenn es draußen kalt und ungemütlich wird am Abend, die Nächte länger werden und die Tage grau. Ich muss an die Herbstabende denken, an denen mich die Urgroßmutter dazu angehalten hat, Socken zu stricken für den Weihnachtsbazar. Und ich habe es wirklich gehasst, weil ich keine große Handarbeiterin war und heute noch nicht bin. Aber es gab immerhin Tee mit Zitrone, Kekse und Kuchen. Und das Radio mit klassischen Symphonien lief leise im Hintergrund.

Von der Christmette bis zum Todesbett

Mir fallen auch die eisigen Nächte ein, in denen ich mit meinem Vater in aller Stille durch den Schnee zur Christmette gestapft bin. Es roch nach Weihrauch und Myrrhe, und danach gab es gekochte Selchwürste mit Senf und Kren. Und beim Gebet haben wir auf den Senftopf geschielt, weil der nie sehr großzügig gefüllt war, und die Portion, die man bekam, eine Frage der schnellen Finger nach dem Vaterunser war. Ich denke auch an die Momente in der Intensivstation am Bett meines Vaters, in denen ich stumm gebetet hab, unbemerkt von mir selbst, und als ich es gemerkt hab, Monate später, war er schon tot. Aber mir ist schon klar, dass das nicht mehr der Mehrheitsmeinung entspricht. Und das ist auch gut so. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft.

Aber warum, frag ich mich, wird dann die kategorische Ablehnung der Sonntagsöffnung immer wieder religiös begründet? Wenn doch in Rom und in jeder italienischen Kleinstadt zu jeder Tages- und Nachtzeit am Sonntag die Supermärkte geöffnet haben? Warum gibt es immer noch Debatten über die Ehe von Homosexuellen? Wenn doch die Scheidungsraten ansteigen und "bis dass euch der Tod scheidet" längst der Vergangenheit angehört? Warum lässt sich der Kandidat der FPÖ für das Bundespräsidentenamt auf einem Sujet abbilden, auf dem das Zitat prangt "So wahr mir Gott helfe?"

Wer soll damit erreicht werden? Die rührigen Damen und Herren, die sich am Stock in den täglichen Gottesdienst zwingen? Religion, das ist hierzulande für die überwiegende Mehrheit bestenfalls noch Folklore. Der bunte Background zum Weihnachtseinkauf oder zur Osterjause. Also wer soll erreicht werden mit diesem Glaubensbekenntnis? Oder geht es hier um etwas anderes? Um die Abgrenzung zu den durchwegs gläubigen Muslimen im Land? Um "Daham statt Islam"? Um "Abendland in Christenhand"?

Die nicht vorhandene Trennung

Familienmitglieder von mir leben seit Jahrzehnten in Frankreich. Ich finde den dortigen Laizismus und die Strenge, mit der dieser exekutiert wird, gut. Kein Kreuz an den Wänden in den Schulen. Kein Kopftuch im Unterricht. Kein Religionsunterricht. Das ist nur konsequent. "Die Trennung von Kirche und Staat ist in Österreich eigentlich weder Realität noch ein Thema", sagte mir der Politologe Anton Pelinka vor ein paar Jahren in einem Interview, und in diesen Tagen muss ich oft daran denken. Gott ist tot, sagte Nietzsche vor mehr als 100 Jahren. Und für viele hatte er damit recht.

Aber jene, für die er existiert, haben ein Recht, nicht mit einer Politik in Zusammenhang gebracht zu werden, die eben sie verhöhnt, denunziert und stellenweise sogar bedroht, nur weil sie an christliche Werte wie Nächstenliebe glauben und sie täglich in der oft unentgeltlichen Arbeit mit Flüchtlingen, Armen und aus der Gesellschaft Ausgegrenzten praktizieren.

Norbert Hofer und die Seinen sollen sich für ihre Kampagne andere suchen, auf die sie sich berufen. Sie sollen die Gemeindemitglieder, die unentwegt Babysachen sammeln, Kleider ausbessern und Eintöpfe kochen, wenigstens in Ruhe lassen, wenn sie sie schon nicht unterstützen. Dass diese Gläubigen und ihre Arbeit in einen schmutzigen Wahlkampf involviert werden, der das Trennende vor das Gemeinsame stellt, haben sie schlicht nicht verdient. Und Gott auch nicht. (Barbara Kaufmann, 22.10.2016)