Daytrader wie Michael Hinterleitner benötigen Bewegung an den Börsen, um mit kurzfristigen Finanzwetten Geld zu verdienen. Dazu Beharrlichkeit und Selbstdisziplin – sowie Nerven aus Drahtseil.

Foto: Hinterleitner

Wien – Am Dienstag, dem 27. September, spürt Michael Hinterleitner, dass es Zeit sein könnte zu handeln. Die Stimmung an Europas Aktienbörsen ist schon vor Handelsbeginn gut. Erleichterung liegt in der Luft, in der Nacht zuvor hat in den USA das erste TV-Duell der Präsidentschaftskandidaten stattgefunden. Die meisten Beobachter haben Hillary Clinton zur Punktesiegerin über den unter Börsianern wenig geliebten Donald Trump erklärt. Um neun Uhr morgens eröffnet der paneuropäische Aktienindex Eurostoxx nach mehreren Verlusttagen tatsächlich wieder in der Gewinnzone.

Hinterleitner beobachtet auf drei Monitoren, wie die neuesten Kurse und Nachrichten aufflackern und den Charts genannten Kursverläufen in Echtzeit die jüngsten Preisfeststellungen hinzugefügt werden. Der Eurostoxx hat um 0,6 Prozent höher eröffnet, kommt in den folgenden 15 Handelsminuten aber nicht mehr vom Fleck – genau darauf hat Hinterleitner gewartet: Er "shortet" den Index, wettet also auf fallende Kurse. Eine Stunde später erfolgt der erste Teilverkauf, als das Börsenbarometer nur noch bei plus 0,2 Prozent liegt. Um elf Uhr wird auch die zweite Tranche veräußert, als der Eurostoxx bereits mit 0,4 Prozent in die Verlustzone abgetaucht ist. Hinterleitner atmet durch und lehnt sich entspannt zurück. Er ist Daytrader, und diese Wette ist voll aufgegangen.

Im Windschatten der Großen

Seine Strategie ist relativ einfach, Hinterleitner agiert nämlich als Trendfolger. "Wir fahren im Windschatten der Großen mit", erklärt er und zeigt auf den Kursverlauf des Eurostoxx der vergangenen Tage. Er versucht, bei Aktien oder Indizes eine klare Richtung auszumachen – beim Eurostoxx war diese abwärtsgerichtet – und bei einer kurzfristigen Gegenbewegung darauf zu setzen, dass der übergeordnete Trend wieder eingeschlagen wird. Ob das immer klappt? Nein, sagt Hinterleitner. "Es gibt niemanden, bei dem jeder Trade aufgeht."

"Das ist emotional eine ziemliche Achterbahn", ergänzt der 34-Jährige, der bereits 1999 dem Reiz des Daytradings erlegen ist. "Aber schlaflose Nächte habe ich deshalb nicht mehr." Das liege auch daran, dass er es zumeist vermeide, Positionen über Nacht offen zu lassen, wie Hinterleitner im Nachtrag einräumt. Denn eigentlich gebe es keinen Platz für Emotionen beim Trading. "Wenn man handelt wie ein Roboter, dann hat man es geschafft."

Jemand, der das von sich behauptet, ist Ali Taghikhan. Er ist seit 2005 privat als Daytrader tätig und hievte dies im Jahr 2011 auf eine professionelle Basis. "Voraussetzungen sind Beharrlichkeit und eine enorme Disziplin", sagt er. Als Geschäftsführer der Firma ATT Trading, die auch Ausbildungen und Schulungen für angehende Daytrader anbietet, hat ihm der Berufsalltag gezeigt: "Im Prinzip kann es jeder lernen."

Spreu oder Weizen

In der Praxis sieht es allerdings anders aus, denn acht von zehn Daytradern würden im Endeffekt Geld verlieren. "Die anderen zwei verdienen dafür richtig gut", ergänzt Taghikhan. Was dabei die Spreu vom Weizen trennt? "Man muss das unbedingte Verlangen danach haben. Einfach nur eine Alternative zu seinem derzeitigen Job zu suchen ist zu wenig." Denn der Weg zum erfolgreichen Trader sei ebenso steinig wie weit.

Dennoch sind immer mehr Anleger dazu bereit, diesen Pfad zu beschreiten, wie aus einer Statistik des Marktforschers Investment Trends hervorgeht. Demnach gab es heuer in Deutschland im Mai 50.000 aktive Trader. Im Frühjahr 2011 waren es bloß 32.000, das entspricht einem Anstieg um etwas mehr als die Hälfte binnen fünf Jahren. Was aus diesen Daten zunächst nicht hervorgeht, ist die enorme Fluktuation des Marktes. In dieser halben Dekade sind nämlich insgesamt 100.000 Neu- oder Wiedereinsteiger hinzugekommen, jedoch haben im selben Zeitraum auch 82.000 Trader wieder das Handtuch geworfen.

Was es zu beachten gilt, damit man nicht wegen Erfolglosigkeit entnervt aufgibt, beschreibt Taghikhan wie folgt: Im Endeffekt gehe es um Selbstbeherrschung und genaue Planung der Transaktionen. "Daytrading zeigt einem den eigenen Charakter." Viele würden bei Misserfolg zu Selbstbetrug neigen, sprich die Schuld woanders als bei sich selbst suchen. Taghikhan rät daher besonders Anfängern, ein Tradingtagebuch zu führen und die Trades mit zeitlichem Abstand zu reflektieren. "Man lernt daraus. Man muss Zufälle aus dem eigenen Handeln herausbekommen."

Spielkapital für Gehversuche

Neulingen legt der Trader-Ausbildner nahe, zunächst mit geringem "Spielkapital" von etwa 1000 Euro erste Gehversuche zu wagen. "Es soll genug sein, um wehzutun, wenn das Geld weg ist." Erfahrungsgemäß würden sich bei entsprechendem Vorgehen nach etwa sechs Monaten erste Erfolge einstellen und in weiterer Folge die Gewinnphasen beständiger werden. Währenddessen könne – sofern vorhanden und niemals auf Pump – das eingesetzte Kapital sukzessive aufgestockt werden.

Um Daytrading auf professioneller Basis betreiben zu können, sind laut Taghikhan mindestens 100.000 Euro nötig, nebenberuflich deutlich weniger. "Im ersten Jahr sollte man aber auf keinen Fall den Job kündigen", warnt er, zumal die erzielten Gewinne "unbedingt auch versteuert werden müssen", wobei je nach Anlagevehikel entweder der individuelle Einkommensteuersatz zur Anwendung komme oder die Wertpapier-KESt anfalle.

Wichtig ist für Taghikhan die Wahl des Finanzprodukts, wobei er wie Hinterleitner einen sogenannten CFD (Contract for Difference, siehe "Wissen") als ideales Einstiegsvehikel betrachtet. Das sind gewissermaßen abgespeckte Terminkontrakte für den Hausgebrauch – wobei diese wie ihre großen Brüder für institutionelle Investoren starke Hebel aufweisen. Wenn sich der Wert des zugrunde gelegten Index oder der Aktie um ein Prozent bewegt, erzielt der CFD-Inhaber ein Vielfaches davon als Gewinn oder Verlust. Weniger geeignet sind aus Sicht der Trader Optionsscheine, Zertifikate und binäre Optionen.

Qualitätscheck der Anbieter

Ebenso bedeutend ist für Hinterleitner die Wahl des Brokers, gewissermaßen die Gegenpartei für Daytrader, von denen es im deutschsprachigen Raum "ungefähr 30 relevante" Anbieter gebe. CFD-Broker bilden das Geschehen an den Börsen nämlich nur ab – je genauer, desto besser aus Sicht eines Traders. Daher betreibt Hinterleitner zusätzlich die Website Brokerdeal.de, auf der die Qualität der Anbieter überprüft wird und Mitglieder Handelsgebühren zurückerhalten können. Auch Daytrader stehen beruflich auf zwei Beinen sicherer.

Ein bekannter Broker ist die britische CMC Markets, die auch in Wien eine Niederlassung unterhält. "Das Geschäft läuft sehr gut", sagt Verkaufsleiter Gabor Mehringer, wobei auch das Nullzinsumfeld die Entwicklung unterstütze, denn: "Die Leute suchen nach Alternativen und versuchen daher selbst zu handeln", sagt Mehringer, der das Marktpotenzial noch nicht für ausgeschöpft hält. Seine Kunden sind in der Regel zwischen 40 und 45 Jahre alt, darunter "deutlich mehr Männer als Frauen".

Etwas unter dem Altersschnitt liegt der 34-jährige Hinterleitner. Er beschäftigt sich zumeist nur zwei, drei Stunden am Vormittag möglichst ungestört mit Handeln, "danach ist die Türe zum Home-Office eigentlich immer geöffnet". Der Vorteil: "Als von zu Hause tätiger Trader und Unternehmer bekomme ich von den beiden Kindern fast jede Minute mit." Ob sich die Tagesabläufe stets gleichen? Nein, sagt Hinterleitner, es gebe nämlich auch schlechte Tage, an denen man es lassen sollte. "Wichtig ist auch, zu wissen, wenn man besser nicht handelt." (REPORTAGE: Alexander Hahn, 28.10.2016)


Wissen: Auszüge aus dem Traderkauderwelsch

Die bevorzugten Instrumente der Daytrader sind Derivate. Damit können sie mit relativ geringem Kapitaleinsatz auf gewisse Basiswerte setzen, zumeist Aktien oder Indizes, und deren Kursbewegungen sowohl nach oben als auch nach unten verstärken (Hebel). Besonders oft kommen folgende Produkte zum Einsatz:

  • Contract for Difference (CFD) Mit sogenannten Differenzkontrakten können Trader auf steigende sowie auf fallende Kurse eines bestimmten Basiswertes setzen. Dabei muss eine Sicherheitsleistung (Margin) hinterlegt werden, die nur einen kleinen Teil des Gesamtwerts der zugrunde liegende Position des Basiswerts entspricht, woraus sich der Hebeleffekt ergibt.
  • Optionsschein Grundsätzlich entsprechen Optionsscheine den an Terminbörsen gehandelten Optionen, eignen sich aber aufgrund kleinerer Losgrößen auch für Privatpersonen. Sie stellen das Recht dar, den Basiswert zu einem bestimmten Ausübungspreis innerhalb oder zum Ende einer festgelegten Bezugsfrist zu kaufen (Call) oder zu verkaufen (Put). Auch Optionsscheine weisen einen Hebel auf.
  • Binäre Option Sie unterscheidet sich von Optionsscheinen dadurch, dass sich für den Basiswert nur zwei Szenarien ergeben können. Tritt ein im Vorhinein definiertes Ereignis ein, erhält der Anleger einen zuvor festgelegten Betrag, sonst verfällt die Option wertlos.