KHM-Generaldirektorin Sabine Haag lenkt ein Imperium aus acht Museen an drei Standorten. Sie hat rund 700 Mitarbeiter und ein Budget von 42 Millionen Euro zu verwalten.

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Wien – Sabine Haag ist eine Frau mit Geschichtsbewusstsein. Am 17. Oktober 1891 lud Kaiser Franz Joseph die feine Gesellschaft zur Eröffnung des Kunsthistorischen Museums; 125 Jahre später bat die Direktorin des KHM ebenfalls eine kleine, feine Gesellschaft zur Eröffnungsfeier. Am 21. Oktober 1891 öffnete der Kaiser dann das Museum für alle – und "Museum für alle" hat Haag zum Motto des Jubiläumsjahres erklärt.

Damals, zu Kaisers Zeiten, wollten an den ersten Sonntagen mehr als 13.000 seiner Untertanen die habsburgischen Kunstschätze sehen – so viele Besucher an einem einzigen Tag konnte das KHM erst wieder bei der großen Velàzquez-Ausstellung 2014/15 verzeichnen. 1,45 Millionen Menschen besuchten das KHM 2014, im vergangenen Jahr gingen die Besucherzahlen leicht zurück (1,38 Millionen), Haag führt es auf die Schließung des Weltmuseums zurück.

Das Jubiläumsjahr feiert Haag nicht mit einer opulenten Blockbuster-Ausstellung, sondern mit Kabinettausstellungen: Unter dem Titel "Ein Fest für die Augen" werden erstmals Auqarellskizzen und Hängepläne über die Ordnung der Gemäldegalerie 1891 bis 1931 gezeigt. Eine weitere Ausstellung widmet sich der Baugeschichte des Museums. Und das Museum schenkte sich zum Geburtstag fünf Skizzen des Historienmalers Julius Victor Berger (1850–1902) zu seinem Hauptwerk, dem Deckengemälde der Kunstkammer.

STANDARD: Kann sich das KHM das Sammeln überhaupt noch leisten?

Haag: Im Sinne großer Erwerbungen sicher nicht. Wir können beispielsweise nicht ein Bild, das einmal Teil der Sammlung war, für die Gemäldegalerie zurückerwerben. Aber kleine Ankäufe sind möglich.

STANDARD: Gibt es Lücken in der Sammlung?

Haag: Ja, wie in jeder Sammlung, die stark den Charakter des Sammlers trägt. Die Sammlung der Habsburger war immer stark politisch bestimmt. Daher haben wir keine nennenswerten Bestände englischer oder französischer Malerei, dafür haben wir die bestdokumentierte und kompletteste Rüstungssammlung weltweit. Und wir haben die bedeutendste Schatz- und Kunstkammer weltweit. Aber wir würden die bestehenden Lücken nicht auffüllen, selbst wenn wir Geld hätten, sondern versuchen, Gegenstände, die einmal in kaiserlichem Besitz waren, zurückzukaufen.

STANDARD: In den USA können Museen Objekte aus ihren Depots verkaufen. Gutes Modell?

Haag: Das geistert als Vorschlag auch hier immer wieder herum, unter dem falschen Prätext, dass man dadurch das Budget entlasten und sich der Staat noch mehr zurückziehen könnte, als er es bereits tut. Natürlich ist der Gedanke verlockend, aus unserer reichen Tizian-Sammlung ein Bild zu verkaufen; oder einen Bruegel. Unser Budget wäre auf Jahrzehnte konsolidiert. Aber es wäre der Anfang vom Ende. Es wurde ja in der Geschichte der Kaisersammlung schon einiges verkauft, um andres anzukaufen. Später hat sich dann herausgestellt, dass es kapitale Fehleinschätzungen waren. Es ist gut, dass wir nichts verkaufen können, wiewohl man sich vielleicht bei grafischen Sammlungsbeständen, wo es Doubletten gibt, etwas überlegen könnte.

STANDARD: Wie hoch ist das KHM-Budget?

Haag: 42 Millionen für alle unsere acht Häuser an drei Standorten, davon erwirtschaften wir selbst vierzig Prozent. Das ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass wir doch ein großer Tanker sind. Und obwohl das Publikum immer kritischer wird, Bürokratie und Verwaltung ungemein zugenommen haben, gelingt es uns jedes Jahr, noch besser zu sein und Pluszahlen abzuliefern. Aber wir kommen an die Grenzen unserer Möglichkeiten, wir brauchen dringend eine Erhöhung des Sockels, wenn wir noch mehr und besseres Programm liefern wollen. In Wirklichkeit sind wir ein Opfer unseres Erfolges – so wie alle Bundesmuseen. Die Geschichte der Ausgliederung ist ja ein unglaubliches Erfolgsmodell. Sechzehn Jahre schaffen wir alle, mehr Programm zu machen, kreativer, innovativer zu sein. Wir treten mit unseren Projekten und Ausstellungen in Konkurrenz zueinander, aber auch zu allem anderen, was außerhalb von Kunst und Kultur geschieht. Und dennoch schaffen wir Jahr für Jahr die schwarze Null und sogar noch einen kleinen Gewinn.

STANDARD: Wie viele Menschen sind im KHM beschäftigt?

Haag: Im Gesamtverband sind es 700 Mitarbeiter. Es ist wirklich ein mittelständisches Unternehmen, wo wirklich alle bis zum Anschlag arbeiten. Deshalb höre ich mit großem Interesse, dass Kulturminister Drozda den Weg seines Amtsvorgängers fortsetzen und sich um eine Erhöhung der staatlichen Abgeltung bemühen will.

STANDARD: Wird das Weltmuseum seinen Zeit- und Budgetplan bis zur Eröffnung 2017 einhalten können?

Haag: Wird es! Denn wir gehen unsere Projekte sehr solide an, rechnen sie durch bis zum Schluss. Und wir haben ein sehr sehr gutes Projektmanagement. Deshalb waren alle unsere Projekte der letzten zehn Jahre immer im Zeit- und Budgetplan. Wir sind ein verlässlicher Partner, sowohl für die öffentliche Hand als auch für die uns unterstützende Privatwirtschaft.

STANDARD: Haben Sie die Redimensionierung, die wegen des geplanten Hauses der Geschichte notwendig wurde, verschmerzt?

Haag: Zunächst war es natürlich kein Grund zur Freude. Aber nach kurzer Schockstarre und Enttäuschung über das letzten Endes nicht angenommene Projekt, an dem wir jahrelang gearbeitet haben, beschlossen wir, nach vorn zu schauen und eben auf kleinerer Fläche das Weltmuseum in den wesentlichen Punkten zu planen und umzusetzen. Ich freue mich, dass das ehemalige Museum für Völkerkunde nach langer Schließzeit endlich wieder geöffnet wird und damit eines der weltweit bedeutendsten ethnografischen Museen der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden kann. In Verbindung mit Sonderausstellungen wird das ein ganz kraftvoller Auftritt, der den Heldenplatz und die Neue Burg ganz stark beleben soll. Ich glaube, es wird ein sensationeller und ganz wichtiger Beitrag zu gesellschaftspolitischen Diskussionen.

STANDARD: Was sagen Sie zur Forderung der Grünen, die Sammlungen überhaupt radikal neu zu ordnen und umzuschichten? Aller Barock in ein Museum, Jugendstil in ein anderes, Ihre Waffensammlung ins Heeresgeschichtliche Museum und so weiter.

Haag: Das ist ein Unsinn, abgesehen davon, dass etwa das Leopold-Museum kein Bundesmuseum ist und sowieso nichts hergeben muss. Aber ich glaube, der Wettbewerb, in den wir seit der Vollrechtsfähigkeit vor 16 Jahren getreten sind, hat viele gute Ausstellungen und Aktivitäten hervorgebracht, die es bei monolithischen Strukturen vermutlich wohl nicht gegeben hätte. Ich sehe in diesem Vorschlag keinen Vorteil, sondern nur ein absolutes Negieren geschichtlicher Zusammenhänge. Diese geschichtliche Dimension ist eine der großen Stärken unserer Sammlungen und Museen. Ich glaube, diese Vorschläge der Grünen sind eher getrieben von persönlichen Vorstellungen als dadurch, was durchdachte Museumspolitik sein sollte.

STANDARD: Was sollte Museumspolitik sein?

Haag: Mit den Beständen arbeiten, kluge Themen aufwerfen, nicht nur historisches Erbe verwalten, sondern mit heutigem Blick und Verständnis auf die Sammlungen schauen: mit Profundität und Seriosität und nicht mit blindem Unverständnis der monarchistischen Traditionen. Vieles, was heute in Bundesbesitz ist, wurde von den Habsburgern über Jahrhunderte gesammelt – aus vermutlich ähnlichen Motiven, die auch der Staat heute verfolgen würde, wenn er denn für Kunsterwerb Geld ausgeben würde, was er aber bekanntermaßen wenig bis gar nicht tut. Mit diesen Beständen klug, attraktiv, verständlich, kritisch zu arbeiten ist meiner Meinung nach Aufgabe eines Museums. Und die Kulturpolitik soll grobe Rahmenbedingungen vorgeben, aber dann möglichst viel Freiheit lassen.

STANDARD: Was erwarten Sie sich da vom sogenannten Weißbuch, also der von Minister Drozda angekündigten Museumsstrukturreform?

Haag: Ein nachhaltiges, kluges Regelwerk. Rahmenbedingungen für das unglaubliche kulturelle Erbe in den Museen.

STANDARD: Ihr Motto fürs Jubiläumsjahr ist "Museum für alle". Ist das nicht ein bisschen no na?

Haag: Ein Museum wie das KHM ist schon von der Architektur her sehr souverän, wirkt aber auch elitär und abweisend. Aber man kann die Kunst für alle aufbereiten. Natürlich muss man ehrlicherweise sagen: Es werden nie alle kommen. Aber es sollen sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen. Und es ist ein Aufgreifen von Kaiser Franz Josephs Wunsch, der seine Kunstsammlung und die der Habsburger unter einem Dach vereint wissen und öffentlich zugänglich machen wollte. Und zwar offenbar scheinbar unter dem gleichen Motto. Es war offen für alle, bei freiem Eintritt. Aber natürlich gab es Restriktionen, beispielsweise in der Museumsordnung die Kleidervorschrift genau festgehalten. Einschränkungen gibt es auch heute noch.

STANDARD: Nämlich welche?

Haag: Wir müssen Eintrittsgelder verlangen, es ist die beste Einnahmequelle. Wir sind auch immer noch nicht lückenlos barrierefrei, weil es ein denkmalgeschütztes Haus ist, wird es auch nie völlig barrierefrei sein. Aber als ich die Position der Generaldirektorin vor acht Jahren übernommen habe, wollte ich von Anfang an Barrieren abbauen, das Museum öffnen, Dialoge anregen, Brücken bauen.

STANDARD: Ein Großteil der Sammlung, fast neunzig Prozent, ist aber für die Öffentlichkeit gar nicht zugänglich.

Haag: Stimmt, ein großer Teil ist nicht ausgestellt. In der Öffentlichkeit herrscht die Meinung der vollen Keller. Und dass wir auf einem Schatz sitzen, der eigentlich wertlos ist, wenn wir ihn nicht zeigen. Aber es ist unser aller Geschichte.

STANDARD: Allerdings eine unsichtbare Geschichte.

Haag: Deshalb beschaffen wir nicht ständig teure Leihgaben und machen unsere Sammlungen dadurch noch unsichtbarer. Mir geht es darum, mit den Sammlungen, den Kernbeständen unseres Hauses zu arbeiten.

STANDARD: Wären nicht gerade mit den Kernbeständen auch mehr Ausstellungen à la Velázquez, der große KHM-Blockbuster der letzten Jahre, möglich? Belvedere und Albertina legen da ja einiges vor.

Haag: Stimmt. Sagt aber nichts über die Qualität der Ausstellungen aus. Es ist fantastisch, wenn das Winterpalais bei Olafur Eliasson oder das Belvedere bei Ai Weiwei gestürmt wird. Wenn man genauer schaut, ist relativ wenig Substanz dahinter. Wir arbeiten solide und nehmen die Forschungsverpflichtung sehr ernst. Aber wir wissen jetzt schon, dass die Bruegel-Ausstellung in zwei Jahren ein Renner wird. Es wird eine sehr profunde und wissenschaftlich fundierte Ausstellung werden.

STANDARD: Was sagen Sie zu Ihrer neuen Kollegin Stella Rollig, die ab Jänner künstlerische Direktorin des Belvedere wird?

Haag: Ich glaube, es ist eine Entscheidung, die für Ernsthaftigkeit, Seriosität und mehr Inhalt als Show steht. In ersten Stellungnahmen hat sie gesagt, sie lege Wert auf Haltung. Das finde ich bemerkenswert und gut. Letztlich wird es natürlich davon abhängen, wie die Zusammenarbeit mit ihrem kaufmännischen Direktor funktioniert, ob er ihre Visionen mitträgt und durch die finanziellen Rahmenbedingungen bestmöglich unterstützt. Es ist natürlich eine ganz andere Konstellation als unter Agnes Husslein, die das Museum sehr erfolgreich zu unglaublichen Höhenflügen geführt hat. Die Fußstapfen, in die die neue Geschäftsführung tritt, sind jedenfalls sehr groß.

STANDARD: Wenn Sie nun Hussleins Erfolge loben: Gab es von der Kollegenschaft Solidaritätsbekundungen oder zumindest Verweise auf ihre Verdienste?

Haag: Jeder weiß, dass sie das Belvedere enorm erfolgreich geführt hat, Besucherzahlen erhöht, Standorte ausgeweitet, Eigendeckung gesteigert. Aber es war auch klar, dass es Verstöße gegen Compliance-Richtlinien gab. Welche genau, wissen wir bis heute nicht. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. In so eine Nebelwolke urteilend hineinzugehen war schlicht nicht möglich. Solidaritätsbekundungen, wie sie sich Husslein gewünscht hätte, waren in der Form nicht zu leisten. (Andrea Schurian, 20.10.2016)