Journalist Jovo Martinović auf einer früheren Aufnahme von Reporter ohne Grenzen.

Foto: Reporter ohne Grenzen

Hinter den schmutzig-matten Glasscheiben, die mit kleinen quadratischen Gittern geschützt sind, taucht ein blasser Mann mit Brillen auf. Die Häftlinge dürfen hier dreißig Minuten lang mit Gästen sprechen. Jovo Martinović setzt sich vor das schwarze 80er-Jahre-Telefon mit der Nummer 102.

Er ist vielleicht dreißig Zentimeter entfernt, dazwischen das Gitter und die Glasscheibe. Seine Stimme klingt durch das Telefon aber sehr weit weg. Die Besucher im Gefängnis von Danilovgrad, etwa zwanzig Kilometer außerhalb der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica, sehen großteils ärmlich aus, viele tragen Trainingshosen. Herr Martinović, der Intellektuelle, fällt hier aus der Reihe.

Der investigative Journalist, der unter anderem für den "Economist" und die "Financial Times" gearbeitet hat, sitzt seit einem Jahr in dem heruntergekommenen Backsteinbau ein. Ende Oktober soll endlich das Verfahren gegen ihn beginnen. Der 42-Jährige hat in den vergangenen 15 Jahren zur organisierten Kriminalität – Waffenschieber und Juwelendiebe –, aber auch zu Kriegsverbrechen auf dem Balkan recherchiert. Viele ausländische Medien haben mit ihm zusammengearbeitet.

Nun wird ihm vorgeworfen, dass er mit Kriminellen in Drogengeschäfte verwickelt sei. Insgesamt sollen laut der Staatsanwaltschaft mehr als ein Dutzend Personen in den Verkauf von einem Kilogramm Heroin und zwanzig Kilogramm Marihuana zwischen August und September 2015 involviert gewesen sein.

Dokumentation über die Pink Panter

Am 22. Oktober des Vorjahrs wurde Jovo Martinović festgenommen. Er hatte 2014 eine Dokumentation über die "Pink Panther" gemacht, einer Gruppe von Juwelendieben, die in ganz Europa zahlreiche Einbrüche durchführten. Einer dieser "Pink Panther" ist Duško Martinović, der wegen der Verbrechen, die er beging, in Frankreich inhaftiert war. Der Kontakt zum Namensvetter Duško Martinović wurde nun offenbar dem Journalisten Jovo Martinović zum Verhängnis. Denn Duško Martinović war offenbar im Vorjahr tatsächlich in den Verkauf von Marihuana involviert.

Jovo Martinović wird nun vorgeworfen, er habe Duško Martinović die App "Viber" auf dessen Mobiltelefon installiert, angeblich um diese Drogengeschäfte abzuwickeln. Jovo Martinović verweist darauf, dass er das wegen eines Interviews getan habe, das der Sender Sky Atlantic mit Duško Martinović geführt hat. Damit sei die Konversation einfach billiger möglich gewesen.

In der Anklage wird ihm sehr generalisiert vorgeworfen, er habe "sein journalistisches Wissen" genutzt, um diese App zu installieren. Weiters soll er Kriminelle vernetzt und für den Verkauf der Drogen "vermittelt" haben. Handfeste Beweise, dass er tatsächlich irgendetwas mit den Drogendelikten des "Pink Panther" zu tun hat, tauchten bisher nicht auf. Jovo Martinović weist alle Vorwürfe zurück. "Ich war mit Duško Martinović und anderen Kriminellen nur wegen der Recherchen zu den Pink Panthern in Kontakt", sagt er dem STANDARD. Der Zeuge, der gegen ihn ausgesagt habe, sei hingegen selbst ein Krimineller und habe wegen seiner Aussage Straffreiheit bekommen.

Akteneinischt ein halbes Jahr nach der Anklage

Tatsächlich gibt es in Montenegro vermehrt Fälle, in denen Verdächtige Geständnisse unterschreiben – also eine Art Deal mit der Staatsanwaltschaft machen – und dann entweder als Zeugen straffrei gehen oder milde Strafen bekommen. Auch Jovo Martinović wird laut eigenen Angaben aufgefordert, ein Geständnis zu unterschreiben. "Die ganze Geschichte gegen mich ist aber völlig erfunden", sagt er zum STANDARD. "Ich habe damit nichts zu tun, und ich unterschreibe nicht irgendeinen Blödsinn." Er glaubt, dass der Prozess gegen ihn angestrengt wurde, weil er sich jahrelang geweigert hat, mit Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden sein Wissen über die organisierte Kriminalität zu "teilen". Er beruft sich dabei auf sein professionelles Verständnis als Journalist. Er wolle nicht den Informanten spielen.

Krankes System

Martinović ist aber über den Zustand der montenegrinischen Justiz schockiert. "Ich wusste, dass das System krank ist, aber nicht, dass es so krank ist", meint er. In seinem Fall seien gleich mehrere Gesetze gebrochen worden. Er wusste monatelang nicht einmal genau, was gegen ihn vorgebracht wird. In Montenegro kann ein Verdächtiger sechs Monate lang in Untersuchungshaft bleiben, dann muss die Anklage verfasst werden, und dann spätestens müssen die Fallunterlagen dem Häftling zur Verfügung gestellt werden. Gegen Martinović und 13 andere wurde in der Causa am 8. April Anklage erhoben – Akteneinsicht hat er allerdings erst vor drei Wochen bekommen, also ein halbes Jahr danach.

Mehrfache Verzögerung des Verfahrens

Problematisch ist zudem, dass die Untersuchungshaft nur dann über das halbe Jahr hinaus verlängert werden kann, wenn es sich um ein Vergehen handelt, das mit mindestens zehn Jahren Haft bestraft werden kann. Im Fall Martinović wurde der Beginn des Verfahrens immer wieder verzögert. Man argumentierte etwa mit den Sommerferien der Justizbeamten. Die Tageszeitung "Vijesti" schrieb, dass es zudem Hinweise gab, dass Sonderstaatsanwältin Mira Samardžić Druck auf den Kriminellen Duško Martinović ausgeübt habe, Jovo Martinović der Drogendelikte zu bezichtigen. Der "Pink Panther" sei deshalb sogar in Hungerstreik getreten.

Zahlreiche internationale Organisationen wie die OSZE, Reporter ohne Grenzen und EU-Botschaften in Montenegro haben gegen die extrem lange U-Haft Martinovićs protestiert. Reporter ohne Grenzen äußerte die Sorge, dass die Festnahme mit der investigativen Arbeit des Journalisten zu tun habe. Premier Milo Djukanović wies das zurück.

Die Staatsanwaltschaft hat auch Ermittlungen bezüglich des Vermögens von Jovo Martinović angestrengt. Der Journalist besitzt zwei Wohnungen in Montenegro, eine hat 2002, die andere 2012 erworben. "Die Anklage bezieht sich auf ein Drogendelikt aus dem Jahr 2015. Es ist ja an sich bereits komplett unlogisch, dies in Beziehung zu dem Kauf von Wohnungen zu setzen, der viele Jahre zuvor stattfand", meint er zum STANDARD.

Gewalt gegen Journalisten in Montenegro

Die EU-Kommission, die jährlich einen Fortschrittsbericht zu Montenegro verfasst, bezeichnete im letzten Bericht aus dem Jahr 2015 "die institutionelle und operative Kapazität von Staatsanwälten, Richtern und der Polizei" als unzureichend. Auch die Situation von Journalisten war in den vergangenen Jahren Anlass zu massiver Kritik. Journalisten in Montenegro werden nicht nur bedroht, es kam auch wiederholt zu Gewalt, insbesondere gegen jene, die im investigativen Bereich recherchierten.

Martinović meint, er wolle durchhalten. Hinter der Polizeischleuse, an der man alles zurücklassen muss und einer Leibesvisitation unterzogen wird, liegt eine Straße, die von Zypressen gesäumt ist, die Gefängnisblöcke liegen ein paar hundert Meter entfernt. Der Mann, der hier hinter den blauen Stahlboxen sitzt, meint, dass er in der Haft gut behandelt werde. (Adelheid Wölfl aus Danilovgrad, 19.10.2016)