Eine seltsame kurze Opernliebe – Gaëlle Arquez (als Armide) und Stanislas de Barbeyrac (als Renaud).

Foto: Pöhn

Wien – Der Krieg tobt auf der Bühne, es zieht der 1. Kreuzzug seine blutigen Spuren, allerdings geht es um Krieg an sich – zeitlos also, gilt es ihn darzustellen. Zu diesem Zweck dominiert das Ambiente der Wiener Staatsoper eine dreh- wie formflexible rostige Stufen- und Gitterkonstruktion, die an Reste einer Ölbohrinsel erinnert (Bühne: Pierre-Andre Weitz).

In diesem trostlosen Ambiente geht es jedoch nicht um Ölkrieg. Es verfangen sich die wilden Ritter, die ebenfalls mehrdeutig/zeitlos gekleidet werden, in ein Netz aus Liebesreizen. Armide, die enigmatische Zauberin, vernebelt als Erotikwaffe deren Sinne.

Armides Künste lassen die Krieger alle Vorsicht abstreifen und schließlich in Folterkerkern landen. Und siehe da: Armide ist hasserfüllt. Jene, die sie zuvor umgarnte, droht sie nun die Kehle durchzuschneiden; handgreifliche Psychomartern aller Art hat sie im Repertoire. Nur einer, Ritter Renaud, widersetzt sich stoisch ihren Künsten. Ihn jedoch würde Armide ganz besonders gerne niederwerfen.

Die Charakterisierung "Sie" ist in dieser Inszenierung nicht ganz korrekt. Es hat sich Regisseur Ivan Alexandre in die historische Kreuzzügeepoche zurückgedacht und festgestellt, Muslime jener Zeit hätten die Liebreize von Frauen keinesfalls dazu eingesetzt, feindliche Soldaten zu verführen. So wird Armide bei ihm ein Kerl mit Sixpack, ein juveniler Soldat, der sich als Frau kleidet. Folglich kann sich nur eine homoerotische Grundierung für die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Feinden entfalten.

Aus den Choreografien (Jean Renshaw) kann diese Intention herausgedeutet werden: Als Frauen gewandete Soldaten (die eingesetzte verführerische Kriegslist) tanzen die Herren der Ballettakademie der Staatsoper in goldigen (Armida nachempfundenen) Kleidern, was immerhin einen Hauch von Personenführung in diese träge Inszenierung pflanzt. Diese Geschlechteridee hätte allerdings, wenn schon (sinnfreierweise) gewählt, deutlicher gestaltet werden können – zur Brokeback Mountain-Intensität (thematisiert die Liebe zwischen zwei Cowboys) reichten offenbar weder Mut noch Handwerk.

Auch sonst wälzt sich die Inszenierung behäbig-unentschlossen mit gestischen Ritualen und Drehungen des rostigen Käfigs dahin. Selbst dort, wo das Ambiente in Goldgelb getaucht wird, will sich Atmosphäre nicht einstellen: Es tanzen Damenkleidsoldaten in Fenstern und wirken wie Objekte eines zu früh geöffneten Travestieadventkalenders.

Schließlich bleibt auch in jenen Augenblicken, da die Zuneigung zwischen Armide und Renaud offenbar wird, alles tiefgekühlt-apathisch.

Immerhin bietet die fulminante musikalische Umsetzung Halt: Die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez (als Armide) trug die Aufführung in allen Phasen ihrer verwirrten Existenz: Ob dramatische Ausbrüche oder sanfte poetische Innigkeit – diese jederzeit tragfähige Stimme verliert nie ihre dunkle, samtige Grundfarbe, was bei dieser Partie eine besondere Leistung darstellt. Ihr ritterlicher Partner, der sie/ihn schließlich verlässt – Stanislas de Barbeyrac als Renaud – punktete mit lyrischer Linienführung.

Stark in ihrer dramatischen Intensität Stephanie Houtzeel (als Hass), respektabel das Ensemble mit Paolo Rumetz (als Hidraot), Gabriel Bermúdez (Ubalde), Bror Magnus Tødenes (Der Dänische Ritter), Olga Bezsmertna (Phénice), Hila Fahima (als Sidonie), Bror Magnus Tødenes (als Artémidore), Mihail Dogotari (als Aronte) und dem guten Mahler-Chor.

Ein Wunder an rasender Kompaktheit der Linien, instrumentaler Dramatik, intensiver Klanggestaltung und differenzierter, Überraschungen bietender Akzentuierung die Musiciens du Louvre unter der Leitung des energische und doch Details feinnervig modellierenden Marc Minkowski. Allgemeiner Applaus, doch vereinzelte Buhs für die Regie. (Ljubiša Tošić, 18.10.2016)