Christina Scherrer als weiblicher Orpheus im Stück "Schatten".

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Wien – In Elfriede Jelineks Text Schatten (Eurydike sagt) verfällt die mythologische Figur der Eurydike, Gattin des allseits verehrten Sängers Orpheus, in einen Unterweltblues: Sie erhebt erstmals das Wort. Ein Schlangenbiss ließ sie bekanntlich sterben, doch im Reich der Schatten keimt in ihr ein seltsam deutliches Lebensgefühl.

Jelinek ergreift mit ihrem zupackenden Galgenhumor wieder einmal Partei für diejenigen auf der Totenseite. In der ehemaligen Sargerzeugung F23 (wie passend) nützt Sabine Mittereckers Inszenierung die abgerockte Patina der Industriehalle. Dort fließt das Wasser des Lethe-Flusses in einer in den Boden eingelassenen Betonrinne. Darin treibt ein toter Fisch; er ist zuvor noch wie eine Handtasche an Eurydikes Arm gebaumelt.

Auf drei Stimmen hat Regisseurin Mitterecker die Ermächtigungsansage der Figur aufgeteilt – bei Jelinek ist sie eine zu Lebzeiten ungehört gebliebene Schriftstellerin: Alexandra Sommerfeld, Sarah Sanders und Christina Scherrer tragen in beeindruckenden Tönungen die Eurydike-Stimmen durch die Halle. Sie scheinen sich in der Klangregie von Wolfgang Musil von den einzelnen Sprecherinnen ab- und im Raum aufzulösen. Entindividualisiert.

Viele "Fetzen" anziehen

Von überquellenden Kleiderständern zupft sich Eurydike immer wieder neue "Fetzen", mithilfe deren sie sich ihrer "Existenz" versichert. Ein Notenständer mit leerem Blatt Papier verweist auf ihre Spurlosigkeit in der Welt der Lebenden. Auf einer Ledercouch markiert eine der dreien (Scherrer) mit E-Gitarre einen weiblichen Orpheus. Dessen Position gleich mit Eurydike zu besetzen ist eine feministische Pointe der Regie, die dem Abend Drive gibt.

Mitterecker unternimmt mit Schatten eine Hörbarmachung ohne illustratorische Ambitionen. Es sind schließlich die Redepositionen in den Jelinek-Texten, die die dramatische Essenz ausmachen; mitsamt der ihnen innewohnenden Schizophrenie, den Nichtpointen, der Selbstveralberung, den Bedeutungsverschiebungsfallen ("Na ja, ich bin nicht objektiv, bin nur Objekt").

Das Publikum bewegt sich frei als mäandernde Menge, in die die Schauspielerinnen immer wieder Redeschneisen schlagen und den von Witzen unterwanderten Text so am Atmen halten. Das gelingt ähnlich meisterlich wie in den Performances von Claudia Bosse vor einigen Jahren. (Margarete Affenzeller, 14.10.2016)