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"Wir sind die Linke, die ins Feuer gegangen ist": Tsipras verteidigt beim Parteitag in Athen die Entscheidung für das Kreditprogramm.

Foto: Reuters / Michalis Karagiannis

Der ältere Herr kommt ins Schwärmen, da ist Alexis Tsipras noch gar nicht auf der Bühne, um ein rosarotes Bild von seinem Griechenland zu zeichnen, so wie es in fünf Jahren sein wird: zehn Prozentpunkte weniger Arbeitslosigkeit, Wohlstand für alle, kein Sparprogramm mehr, das von den Geldgebern in Europa verordnet wird. "Er ist ein besonderer Führer", sagt Kostas Siula. Schade nur, dass Tsipras so spät in diesem Land in Erscheinung getreten sei, sagt der 70-Jährige mit Bedauern.

Siula, ein Parteitagsdelegierter aus dem Athener Innenstadtbezirk Vironas, hat in der Tat lange warten müssen. Erst war da Papandreou der Ältere, dann – nach dem Militär – Karamanlis, der ebenfalls Ältere, gefolgt von Papandreou dem Mittleren, dem Karamanlis-Rivalen Mitsotakis, dem Karamanlis-Neffen, schließlich Papandreou dem Jüngeren, und jetzt wartet schon Mitsotakis, der wiederum Jüngere, in den Startlöchern. Mehr als zwölf Prozentpunkte Vorsprung haben Kyriakos Mitsotakis und seine konservative Nea Dimokratia laut Umfragen mittlerweile vor Tsipras. Und dennoch sind Griechenlands alte Politikerfamilien immer noch die beste Versicherung für den Premier und seine linksgerichtete Regierungspartei Syriza. Tsipras lässt beim Auftakt des Parteitags in Athen keine Gelegenheit verstreichen, um den eingesessenen Familien die Verantwortung für den jahrzehntelangen Nepotismus im Land und die Zerrüttung der Staatsfinanzen zu geben.

Lange aufgeschoben

Bis Sonntag wird die Koalition der radikalen Linken, wie Syrizas Name ausgeschrieben lautet, über die bald zwei Jahre an der Regierung debattieren, über die spektakulären Kehrtwenden und über den Weg nach vorn. Lange hat Tsipras diesen Parteitag aufgeschoben: Es ist der erste seit der Annahme des neuen Kredit- und Sparprogramms und seit der Spaltung der Partei im Sommer 2015. Tsipras hat Steuern erhöht, Renten auch für die kleinsten Bezieher kürzen müssen, auf Anweisung der Kreditgeber auch einen neuen Fonds zur Privatisierung gegründet – nunmehr von den Geldgebern geleitet und zur Rückzahlung der Milliardenkredite bestimmt. Dennoch nennt er seine Partei weiter "linksradikal". Das Ziel bleibe der Sozialismus für das 21. Jahrhundert und die "Transformation" des Kapitals, sagte Griechenlands Premier am Donnerstagabend in seiner Rede zur Eröffnung des Parteitags.

Die Delegierten in der Taekwondo-Halle in der Nähe von Piräus – ein Überbleibsel aus der Zeit der Olympischen Sommerspiele 2004 und der Boomjahre – applaudieren bei solchen Ansagen. Nichts als staatlich gefütterte Amtsträger, ätzt die Linke, die einmal Teil von Syriza war. Den Höhepunkt von Heuchelei und Demagogie sieht sie gekommen, als Alexis Tsipras in seiner Rückschau über das Referendum vom Juli 2015 spricht. Den "größten Moment in der griechischen Geschichte" nennt Tsipras die Abstimmung. Aus den 61,3 Prozent Nein-Stimmen gegen den Vorschlag der Kreditgeber für ein neues Abkommen machte Tsipras damals binnen weniger Tage 100 Prozent Ja-Stimmen für ein drittes Sparprogramm unter Aufsicht von Eurogruppe, EU-Kommission, EZB und IWF.

Der Bruch mit den Wahlversprechen und der Auszug vieler linker Parteien aus dem Syriza-Bündnis wiegen schwer auf Tsipras. Auf dem Parteitag rechtfertigt er einmal mehr seine Entscheidung: Im Gegensatz zur Linken der "Flucht und des Nationalismus" sei Syriza die Linke, die ins Feuer gegangen sei. Sie habe mit der Entscheidung für den Verbleib in der Eurozone und für das Kreditprogramm den "europäischen Weg" gewählt, so hämmert Tsipras seinen Parteifreunden ein. Mit ihrer Standfestigkeit habe Syriza das Denkmuster der Neoliberalen in Europa durchbrochen. (Markus Bernath aus Athen, 14.10.2016)