STANDARD: Der Papst kommt in "The Young Pope" als junger Außenseiter in den Vatikan. Am Anfang hat man den Eindruck, er muss erst in seine neue Rolle finden. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen seiner Performance und jener eines Schauspielers?

Law: Absolut, es ist auch vielsagend, dass man ihn in den ersten Minuten der Serie nackt sieht. Man schaut ihm zu, wie er sich vorbereitet, wie er seine Flip-Flops, die Kleidung überstreift, das Sprechen übt… All das sind Vorbereitungen, von denen man annehmen kann, dass sie Menschen in Machtpositionen ständig treffen. Sie haben ihre Privatzeit, daheim, und dann treten sie heraus und sind der Premierminister oder die Königin. Das ist mir natürlich sehr nahe, weil diese Verwandlung essenziell zu meinem Job gehört.

STANDARD: Und die Predigten haben auch etwas von Monologen?

Law: Es hat mich tatsächlich daran erinnert, dass das Theater in der Kirche geboren wurde. Man erzählt Geschichten. Sie waren die ersten, die verstanden haben, dass es um eine Vorführung geht: mit Kostümen, Bühnenbild und Licht.

STANDARD: Haben Sie auch Ihre Shakespeare-Erfahrungen nutzen können?

Law: Es gab tatsächlich etwa an den großen Themen, am Zustand der Figur, an der Rolle des Pontifex, was mich unbewusst daran anschließen ließ. Es ist auch sehr selten, dass man im Kino lange Monologe bekommt – in Hamlet, den ich vor ein paar Jahren gespielt habe, gibt es gleich sieben davon. In The Young Pope gibt es insgesamt sieben solcher Monologe, und wie im Theater ist jeder ein zentraler Moment für Entwicklung des Papstes.

When the Pope smokes: Jude Law mit einem der lässlichsten Laster.
Wildside/Haut et Court TV/Mediapro/Sky

STANDARD: Was Ihren Papst von realen Vorbildern unterscheidet, ist zuallererst sein Alter. Und dann ist er auch noch Amerikaner. Zwei Sakrilege eigentlich, nicht wahr?

Law: Er ist zumindest nicht so jung wie ich, sondern schon 47! Aber im Ernst, das ist etwas, was das Herz der Fabel berührt. Man denkt automatisch: Er ist jung und amerikanisch, also wird er sicher ein Liberaler sein. Hip, vielleicht sogar skandalös. Man hofft, dass er frische Luft in diese modrige, alte Institution bringt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Er macht es ganz anders...

STANDARD: Er entpuppt sich als Stratege, der ganz schnell seinen Machtraum abzirkelt, und nicht als die Marionette, als die man ihn vermutlich einsetzen wollte.

Law: Ja, er ist gerissen, ein Meister der Kontrolle und von Überlebenstechniken. Die Vergangenheit lebt in ihm fort. Bevor wir mit dem Dreh begannen, wusste ich nicht, wo ich starten sollte. Ich dachte, ich müsste die Bibel lesen. Ich habe zwar viel dazugelernt, hatte dann aber nicht das Gefühl, dass ich irgendwo ankomme.

STANDARD: Wie haben Sie dann zu der Figur gefunden?

Law: Ich ging zu Paolo Sorrentino, und er sagte, konzentriere dich ganz auf Lenny – so heißt der Papst mit bürgerlichem Namen. Wir arbeiteten an seiner Geschichte: Was ist ihm wichtig? Wie hat er gelernt, allein als Waise zu überleben? Wie umgarnt er Menschen? Wie blockiert er Gegner? Wie gelingt es ihm, so schnell so viel zu erreichen? All diese Sachen. Er ist kalkuliert, aber es ist nicht so, dass er spielt. Er ist sehr gegenwärtig, er handelt die ganze Zeit. Er ist richtig gescheit – viel gescheiter als ich!

Ludivine Sagnier als Esther in "The Young Pope".
Wildside/Haut et Court TV/Mediapro/Sky

STANDARD: Er hat einen Traum, einen Albtraum, wie sich herausstellt. Er hält eine Predigt, in der er davon spricht, dass die Kirche die Menschen zurückgelassen hat. Wie sehen Sie das?

Law: Ich weiß nicht... Es ist jedenfalls schwierig, wenn man ein Set an Regeln hat und die Welt um die Kirche herum wächst und entwickelt sich weiter. Da ist offensichtlich, dass daraus irgendwann ein Konflikt hervorgehen muss. Natürlich kehren wir in mancher Hinsicht immer zu den selben Dingen zurück: Liebe deine Nächsten wie dich selbst! Einfache, moralische Leitlinien. Aber es gibt anderes, von dem wir heute aus Erfahrung wissen, dass es unrichtig ist. Aber wie kann man das hinterfragen, wenn es das Wort Gottes ist? Vielleicht sind wir dahingehend nicht mehr auf einer Linie.

STANDARD: Sorrentino hat als Italiener auch eine stille Freude daran, sich einen Papst vorzustellen, der mit der Etikette bricht. Er raucht ständig – und hält dann tatsächlich beängstigende Predigten.

Law: Ich habe das ähnlich empfunden, als ich das Drehbuch das erste Mal las. Ich dachte, scheiße, das ist wirklich stark, beängstigend und relevant. Er wirft Fragen auf, die wir uns die ganze Zeit stellen sollten. Was ist Glaube überhaupt? Der Glaube ist eine ungemein persönliche Angelegenheit, egal ob es sich um Gott oder Allah handelt. Man wird allein geboren und stirbt allein, und alles dazwischen ist der Versuch, die Sinnhaftigkeit des Ganzen zu erfassen.

Der offizielle Trailer.
Sky Atlantic

STANDARD: Darf ich fragen, ob Sie selbst etwas haben, was einem religiösen Glauben entspricht?

Law: Ja, ganz bestimmt.

STANDARD: Wie definieren Sie ihn?

Law: Beweglich. Ich habe keine Antworten in Religionen gefunden, sondern finde meinen Glauben in der Ordnung der Natur, in unserem Platz auf der Erde – konträr zu den starren Vorstellung von Institutionen. Zugleich habe ich Ehrfurcht vor der Macht, die von Institutionen ausgeht. Mehr als an alles andere glaube ich an die Neugierde – und an den guten Willen, die Höflichkeit und an die Kunst.

STANDARD: Der Papst gibt in einer Beichte etwas von seinem Inneren preis. Haben Sie als Schauspieler auch so ein System der Erleichterung?

Law: Ich analysiere mich durch meine Arbeit. Es ist eine Art Beichte, mit Regisseuren zu arbeiten. Ich erinnere mich, als ich mit Mike Nichols Closer (Hautnah) drehte: Beim Probenprozess saßen wir mit ihm herum, und er erzählte uns Geschichten. Er war ein sehr lustiger, ehrlicher Mensch, der uns Geheimnisse über sein Liebesleben anvertraute. Das war zwar seltsam, aber er schuf damit eine Umgebung, in der man völlig ehrlich sein konnte. Wir machten schließlich einen Film über Sex, Liebe und Betrug! Als wir dann unsere Rollen spielten, konnten wir unsere Gefühle zurückerstatten.

Foto: Sky / Gianni Fiorito

STANDARD: "The Young Pope" ist ihre erste TV-Serie. Wie empfanden Sie den Medienwechsel?

Law: Es war eigentlich keine Frage des Mediums, ich wollte einfach mit Paolo arbeiten. Aber mir ist natürlich bewusst, dass es in den letzten 10, 15 Jahren immer weniger um das Medium als um den Inhalt geht. Als Film wäre die Finanzierung von The Young Pope wohl schwieriger gewesen. Serien wie Olive Kitteridge oder The Getdown sind als Filme schwer vorstellbar. Es ist natürlich auch etwas Besonderes, eine Geschichte in zehn Stunden zu erzählen. Es ist auch ein 10-Stunden-Film – Sorrentino hat die Serie ja nicht anders als seine Filme gedreht. (Dominik Kamalzadeh, 16.10.2016)