Lausanne – Natürlich vorkommende Bakterien könnten den Wasserstoff binden, der sich in unterirdischen Lagerstätten für radioaktive Abfälle sammelt. So könnten sie helfen, das Austreten von Radioaktivität zu verhindern, berichtet ein Forscherteam unter Leitung der ETH Lausanne (EPFL).

Die Wissenschafter haben eine Mikrobengemeinschaft aus sieben Bakterienarten entdeckt. Diese leben natürlicherweise hunderte Meter unter der Erde im gleichen Felsgestein, in dem auch die nuklearen Abfälle der Schweiz eingelagert werden. Diese Bakterien stellen jedoch keine Gefahr für das Lager dar – im Gegenteil, so die Forschenden. Man könnte sie nutzen, um die Sicherheit zu erhöhen, indem man das Design der Lager leicht abändere.

Diese Bakterien binden nämlich den Wasserstoff, der sich beim Rosten der Stahlcontainer mit dem radioaktiven Abfall bildet. Ohne Gegenmaßnahmen kann der Gasdruck so groß werden, dass er den zuvor komplett dichten Fels undicht werden lässt.

École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)

Es braucht etwa 200.000 Jahre, bis die Radioaktivität verbrauchter Brennstäbe wieder auf das Niveau natürlich vorkommenden Urans absinkt. Forschung zur Entsorgung von Atommüll fokussiert daher insbesondere auf geologisch langsame Prozesse: die Mechanik der Gesteinsschichten und die Festigkeit natürlicher Barrieren, die die Radioaktivität im Zaum halten sollen.

Diese Forschung habe aber immer einen Schlüsselfaktor vernachlässigt, die Biologie, so die Mitteilung der EPFL. Bakterien existieren überall, auch hunderte Meter unter der Erdoberfläche. Und laut Studienleiterin Rizlan Bernier-Latmani, stürzen sie sich auf jede für sie zugängliche Energiequelle.

Der Fund

"In Wasserproben aus 300 Metern Tiefe am Mont Terri Felslabor haben wir eine Bakteriengemeinschaft entdeckt, die eine geschlossene Nahrungskette bilden", so die Forscherin. Viele davon seien vorher nie beobachtet worden. "Unter ursprünglichen Bedingungen holt sich die Art am untersten Ende dieser bakteriellen Nahrungskette ihre Energie aus Wasserstoff und Sulfat aus dem umliegenden Fels."

Die Lage ändert sich komplett, wenn radioaktive Abfälle mit ins Spiel kommen. Verglast, in Stahlcontainern, umgeben von einer dicken Schicht Bentonit und hunderte Meter unter der Erdoberfläche in Opalinuston-Höhlen gelagert, ist Atommüll von der Umwelt abgeschlossen. Aber die unvermeidliche Korrosion der Stahlbehälter produziert Wasserstoff, der allmählich den Druck in den Kammern erhöht und irgendwann zum Problem wird.

Experiment

Vor rund fünf Jahren brachten Bernier-Latmani und ihr Team ihre Hypothese zum Feldversuch. "Während zwei Jahren haben wir unterirdische Bakterien erhöhten Mengen Wasserstoff ausgesetzt, direkt im Herzen des Opalinuston am Mont Terri", so die Forscherin. Dabei untersuchten sie, wie sich die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft und die einzelnen Arten änderten.

Sobald die Bakterien einmal allen verfügbaren Sauerstoff und Eisen aufgebraucht hatten, gab es eine Verschiebung in der Zusammensetzung der Gemeinschaft und im Stoffwechsel der Bakterienarten. Beides wurde durch die zunehmende Menge Wasserstoff getrieben. "Zwei der Bakterienarten, die mit Wasserstoff ihren Stoffwechsel antreiben können, konnten gedeihen." Andere Arten profitierten in der Nahrungskette aus zweiter Hand.

Durch dieses Umschwenken auf Wasserstoff als Energiequelle könne die Wasserstoffmenge in Zaum gehalten werden, so die Forscher. Bernier-Latmani schlägt vor, für die Bakterien in den Lagerstätten eine Nische einzurichten. Die Idee wäre eine vierte "biologische" Schutzschicht, zwischen Betonit und umgebendem Felsen, die aus porösem Material bestehen würde. In den Poren könnten sich die Bakterien einnisten.

Ein möglicher Pferdefuß

Ein Problem bereitet den Forschenden jedoch noch Sorgen: Genetische Studien an den Bakterien zeigen, dass sie den Wasserstoff auch in Methan umwandeln könnten – was kein wünschenswertes Resultat wäre. Immerhin: Selbst nach monatelangen Versuchen, dieses Verhalten bei den Bakterien auszulösen, warten die Forschenden noch darauf, diese Methanproduktion tatsächlich zu beobachten. (APA, red, 15. 10. 2016)