Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan kommt seinem Ziel eines Präsidialsystems immer näher.

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Ankara/Athen – Nach jahrelanger Blockade durch die Opposition scheint sich nun ein Weg für die vom türkischen Staatschef Tayyip Erdoğan gewünschte Präsidialverfassung abzuzeichnen. Unterstützung erhalten der Präsident und sein konservativ-islamisches Lager von den rechtsgerichteten Nationalisten. Deren Führer Devlet Bahçeli rief die Regierung auf, einen Vorschlag für die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei dem Volk zum Entscheid vorzulegen. Die dafür notwendigen Stimmen im Parlament, so ließ Bahçeli verstehen, würden von seiner rechtsnationalistischen Bewegung MHP kommen.

Erdoğans Premier Binali Yıldırım kündigte daraufhin die rasche Vorlage eines Verfassungsentwurfs an. Er soll die 60 Artikel beinhalten, auf die sich die vier Parlamentsparteien in früheren Jahren bereits verständigt hatten, sowie die Bestimmungen für Erdoğans starke Präsidialvollmachten. Für die Annahme einer Verfassungsänderung sind im türkischen Parlament mindestens 367 der 550 Stimmen notwendig; für den Beschluss eines Referendums mindestens 330. Die Regierungspartei AKP hat derzeit 317, die MHP 40 Sitze.

Ein Referendum und der mögliche Systemwechsel in der Türkei erscheinen nun zugleich als Szenario für die Zeit nach dem Ende des derzeit geltenden Ausnahmezustands. Erdoğans Herrschaft würde dann von der jetzigen Phase des Regierens per Dekret in ein neues legales Präsidialsystem nach Maß übergehen. Das Parlament bliebe in seiner Funktion wohl eingeschränkt. Mit den Stimmen von AKP und MHP billigte das Parlament am Mittwoch die Verlängerung des Notstands um weitere drei Monate bis zum 15. Jänner.

Zustimmung beim Referendum scheint sicher

Bahçeli betonte diese Woche erneut, seine Wahl sei das jetzige parlamentarische System. er werde sich aber nicht dem Willen des Volkes versagen. Die Annahme einer Präsidialverfassung in einem Referendum mit den Stimmen der AKP-Wähler und eines Teils des rechtsnationalen islamischen Spektrums scheint derzeit so gut wie sicher. Staatschef Erdoğan hat seit dem gescheiterten Putsch für eine Mehrheit in der Bevölkerung die Statur eines Kriegsherren. Premier Yıldırım zitierte dieser Tage vor Funktionären eine Umfrage, der zufolge 93 Prozent der Türken den Kampf der Regierung gegen das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen unterstützen. Gülen wird für den Putsch vom 15. Juli verantwortlich gemacht.

Bahçelis verklausulierte Unterstützung für die Regierung ist nicht uneigennützig. Erdoğan habe den seit 20 Jahren an der Spitze der MHP stehenden Bahçeli in der Tasche, heißt es in Ankara. Die türkische Justiz setzte sich in Marsch, als innerparteiliche Herausforderer, angeführt von Meral Akşener, auf einem Sonderparteitag die Ablösung Bahçelis nach dem schwachen Ergebnis bei den Parlamentswahlen im November 2015 erreichen wollten. Akşener war im Vormonat aus der Partei ausgeschlossen worden. Vor dem Putsch galt sie als populäre Nationalistin, die bei einer Übernahme der MHP Erdoğans Partei bei künftigen Wahlen einige Stimmen abnehmen würde. (Markus Bernath, 13.10.2016)