Dario Fo erhielt 1997 den Literaturnobelpreis.

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Mailand/Wien – Mailand 1977. Ein unscheinbarer Mann in blauem Rollkragenpullover und grauer Stoffhose wirbelt über eine Bühne, die eigentlich nur ein Viereck aus grauem Teppichboden ist. Rund um ihn sitzen seine Zuschauer auf dem Boden und sehen zu ihm hoch. Er schwingt die Arme, wirbelt tanzend und singend herum. Dann marschiert los, einen unsichtbaren Korb in den Händen, quer über die Bühne, und preist lautstark Waren an. Vor den Augen der Zuschauer tummelt sich eine Menschenmenge, und doch ist es nur ein Mann, der da vor ihnen steht: Dario Fo. Er führt sein Meisterwerk auf, Mistero Buffo (Obszöne Fabeln, 1969), in dem er die Commedia dell'arte und der mittelalterlichen Giullari, der fahrenden Spielleute, aufleben lässt.

Wer Dario Fo liest, lässt sich einiges entgehen. Der Literaturnobelpreis, den er 1997 bekam, führt in die Irre: Dario Fo war kein Literat – er war ein Mann des Theaters. Kein Theaterschreiber, ein Theatermacher, auch wenn er gemeinsam mit seiner vor drei Jahren verstorbenen Ehefrau Franca Rame über siebzig schrieb (weshalb er immer von "unserem Nobelpreis" sprach).

Als Kind hatte der 1926 in San Giano nahe dem Lago Maggiore als Sohn eines Eisenbahners und einer Bäuerin geborene Lombarde bereits Theater erlebt, vor allem Volkstheater – fahrende Schauspielergruppen und Geschichtenerzähler. Ausgangspunkt für Fos eigenes Theater waren ebenso immer das Volk und seine Traditionen. Zu Beginn hatte er noch in traditionellen Theaterhäusern gespielt, dort seine Gesellschaftskritik versucht anzubringen. Die ersten Schritte machte Fo noch während seines Architekturstudiums im heute legendären, damals aber noch jungen Piccolo Teatro di Milano unter Giorgio Strehler. Es waren die Jahre der Studenten- und Arbeiterbewegung Ende der 1960er-Jahre, als auch in die reaktionäre italienische Theaterlandschaft Bewegung kam. Auch Dario Fo wollte politisches Theater machen, Klassenkampftheater. Seine Zielgruppe waren diejenigen, die nicht im Parkett sitzen und in den Logen, sondern in der Fabrik und in den kleinen Beisln. Dort ging er hin und spielte für sie. Immer an seiner Seite war Franca Rame. Gemeinsam gründeten sie freie Theatergruppen wie die Nuova Scena, später La Comune, die in einer Gemüsehalle ihr ständiges Quartier fand.

Galionsfigur der Arbeiterbewegung

Die Themen spiegelten die Realität der Zuseher wider, aktuelle Entwicklungen wurden komisch-kritisch aufbereitet, was Fo immer wieder Probleme mit der Zensur einbrachte. In Non si paga! (Bezahlt wird nicht!, 1974) rebellieren Mailänder Hausfrauen gegen Preiserhöhungen, indem sie ihre Waren ganz offiziell nicht bezahlen. Morte accidentale di un anarchico (Zufälliger Tod eines Anarchisten, 1970) schildert den Fall des Anarchisten Pinelli, Hauptverdächtiger im Bombenattentat auf eine Mailänder Bank 1969, der unter mysteriösen Umständen aus dem vierten Stock der Questura stürzte, sich stürzte oder gestürzt wurde – je nachdem, wem man glauben möchte. Fo wurde zu einer Galionsfigur der italienischen Arbeiterbewegung, wurde mehrmals verhaftet, doch niemals lange – zu groß waren die Menschenmengen, die sich vor den Polizeigebäuden versammelten.

Mitte der 90er-Jahre fand Fo sein wohl dankbarstes Opfer und einen neuen Lieblingsfeind – Silvio Berlusconi, den er unbarmherzig auf die Schaufel nahm. Ganz besonders gut eignete sich dazu das Grammelot: eine (mittelalterliche) Sprechtechnik des Theaters, bei der man lediglich Kauderwelsch von sich gibt und es klingen lässt wie eine reale Sprache. Eine Technik, die auch Berlusconi perfektioniert hat, meinte Fo. Seinen Kleinkrieg mit dem "Cavaliere" bezeichnete er schmunzelnd als "Duell der Komödianten". So stand er dann als Fo/Berlusconi auf der Bühne und feuerte ganz in der Manier des Ministerpräsidenten unverständliche Sprachsalven ab, aus denen nur gelegentlich ein Stichwort wie "Wirtschaft" oder "Beschäftigung" aufblitzte.

Im Mittelpunkt von Fos Schaffen stand trotz aller politischen Intention immer das Lachen, das er als die stärkste Waffe des Volkes bezeichnete. Nichts fürchten die Mächtigen so sehr wie das Lachen der Unterdrückten, denn wer lacht, fürchtet sich nicht. Am Mittwoch starb Dario Fo in einem Mailänder Krankenhaus. Er wurde 90 Jahre alt. (Barbara Wallner, 13.10.2016)