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Hillary Clinton bei einem Wahlkampfauftritt in Atlanta, Georgia.

Foto: Reuters/Berry

Georgia, der Bundesstaat im amerikanischen Süden, steht gemeinhin für Baumwolle, Blues und Big Business, für Religiosität und Rassentrennung, für Gott und Geld, für Tradition und Rebellion. Scarlett O'Hara, die fiktive Heldin aus "Vom Winde verweht", war hier ebenso zu Hause wie der Bürgerrechtler Martin Luther King jr.

In der Hauptstadt Atlanta entwickelte der Apotheker John Pemberton die braune Kultbrause Coca-Cola, hier ging 1980 der Nachrichtensender CNN auf Sendung, hier befindet sich der größte Flughafen der Welt. Hier tragen Frauen besonders stolz den Namen – und zwar den gesamten Namen – ihres Mannes, also Mrs. George E. Jones III. zum Beispiel. Hier treffen sich die Männer gerne (und noch öfter als anderswo) in privaten Business-Clubs, von denen einige bis vor nicht allzu langer Zeit noch Frauen, Schwarzen und Juden den Zutritt versagten. Die Herren sprechen bei Bourbon und Barbecue über das Geschäft und in eichenholzgetäfelten Umkleidekabinen wahrscheinlich auch über andere Dinge.

Red State

All das sind Gründe, warum Georgia ein Red State ist, ein Bundesstaat, der stramm republikanisch wählt, mit wenigen Ausnahmen zuverlässig seit 1964.

Und das sind zugleich die Gründe, warum Georgia am 8. November zu einem Blue State werden, warum die demokratische Kandidatin Hillary Clinton den Sieg davontragen könnte. In einer Wahlsaison, die sich jedem Vergleich entzieht, gilt ausgerechnet Georgia als Swing State, ein Staat mit schwankenden Mehrheiten.

Im August sahen Umfragen einen Vorsprung für Clinton in Georgia; im September übernahm Donald Trump wieder die Führung. Nach der Veröffentlichung des Skandalvideos, in dem sich Trump der sexuellen Übergriffe auf Frauen brüstet und das den streitbaren Kandidaten in den Sinkflug katapultierte, könnte sich das wieder ändern.

Wachsende Minderheiten

Andra Gillespie, Politikwissenschafterin an der Emory-Universität in Atlanta, hält es für gut möglich, dass sich das politische Blatt in Georgia am Wahltag wendet. Der Schlüssel liege bei den wachsenden Minderheiten, bei Schwarzen und Hispanics. "Wenn die Wahlbeteiligung unter Afroamerikanern dieses Mal ebenso hoch ist wie 2008 und 2012, dürften sie 30 Prozent der Wählerschaft in Georgia ausmachen", sagt die Forscherin. 2008 stimmten 98 Prozent der Afroamerikaner für Barack Obama, 2015 waren es 95 Prozent. "Ich gehe davon aus, dass Hillary Clinton in Georgia ein sehr gutes Ergebnis einfahren wird."

Und es gibt auch noch andere Gründe, warum viele Südstaatler nicht recht warm werden mit Donald Trump, dem vulgären und brutal direkten Egomanen aus New York. Den christlichen Konservativen, bei denen Trump noch bei den Vorwahlen punkten konnte und die ihm so manche moralische Verfehlung verziehen, weil er ihre Ressentiments bediente, wird es zunehmend unwohl.

Hinzu kommt der Frauenfaktor. Viele Frauen im Süden, insbesondere die Damen der Gesellschaft, leben bis heute von ihrer Unterschätzung. So dürfte so manche Vorstandsgattin beim republikanischen Fundraiser in Atlanta öffentlich für Trump trommeln – und heimlich Hillary wählen.

Überhaupt sind Südstaatler unübertroffene Meister der eleganten Bigotterie, und ich meine das durchaus mit Respekt. Politische Insider berichten beispielsweise, dass sich jahrzehntelang die Abgeordneten von Georgia am Sonntag vor ihren Sitzungen in der Bar eines der altehrwürdigen Business-Clubs in Downtown Atlanta einfanden. Damals durfte an Sonntagen in Georgia noch kein Alkohol verkauft oder ausgeschenkt werden. Doch die privaten Clubs machten ihre eigenen Regeln, da gab es Spirituosen, da gab es auch Separees, da brachen die Gesetzgeber fröhlich genau jene Gesetze, die sie zuvor beschlossen hatten.

Eine Regel ist den Gentlemen aus Georgia indes heilig. Frauen, Juden und Schwarzen mögen sie den Zutritt zu ihren Clubs mittlerweile, wenn auch zähneknirschend, gewähren, aber nie, niemals einem Reporter mit offenem Mikrofon. (Katja Ridderbusch, 13.10.2016)