Gegen Smartphone-Sucht helfen zahlreiche Tricks – doch Tristan Harris will noch weiter gehen und Hersteller miteinbeziehen

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Wer zu oft auf sein Handy schaut, hat keine "Disziplin" und sei "leicht verführbar"; heißt es oft. Doch der Technikphilosoph Tristan Harris sieht das anders: Für ihn ist Smartphone-Sucht keine Charakterschwäche, sondern ein "Designfehler" – und schuld daran sind Programmierer, die alles daran setzen, die Nutzer ihrer Produkte zu manipulieren. "Tausende Menschen" arbeiten im Hintergrund daran, "einen Nutzer" süchtig zu machen, sagt Harris, der seine Ideen The Atlantic präsentiert hat. Er will, dass süchtig machende Anwendungen der Vergangenheit angehören.

Ex-Praktikant bei Apple

Harris, das "Gewissen des Silicon Valley", hat einen durchaus eindrucksvollen Lebenslauf: Der heute 32-Jährige programmierte bereits als Jugendlicher für den Macintosh, war später Praktikant bei Apple und dann Forscher auf der Stanford University. Dort lernte er die Lehre des "Behavorial design" kennen, auf das sich Produktentwickler berufen. Es gibt unzählige Tricks, wie Nutzer süchtig gemacht werden können. So ist es kein Zufall, dass Facebook-Benachrichtigungen in der App in roter Farbe präsentiert werden, da Menschen das als Warnsignal wahrnehmen.

Süchtig machen

Der Algorithmus des sozialen Netzwerks ordnet Beiträge hingegen so an, dass jeder schnell die Chance auf ein "Like" erhält – und dadurch motiviert wird, die Reaktionen weiter zu beobachten. Ein weiterer Trick, um Nutzer zu manipulieren, sei der gefühlt "unendliche Bildschirm", da beim Runterscrollen immer mehr Inhalte geladen werden. Facebook oder Twitter sind nie "fertig", immer gibt es mehr zu entdecken. Der Investor Josh Elman, der die Branche seit Jahrzehnten beobachtet, sagt zum Atlantic sogar, dass sich das Silicon Valley zu einer neuen "Tabakindustrie" entwickelt habe.

Ethisches Design

Harris landete schließlich bei Google, wo er eine Präsentation über "ethisches Design" erstellte. Er schaffte es sogar zu Google-Mitgründer Larry Page, dem er seine Thesen vortrug. Mittlerweile hat sich Harris selbstständig gemacht. Er betreibt ein Projekt namens "Time Well Spent", mit dem er künftig ethisches Design zertifizieren will. Er schlägt etwa vor, dass man in Anwendungen künftig einstellen kann, wie viel Zeit man mit ihnen verbringen will. Nach 15 Minuten würde Instagram einen dann mitteilen, dass die Zeit abgelaufen ist.

Außerdem soll eine Überblicks-App angeben, wie viel Zeit man in einer Woche mit verschiedenen Anwendungen verbracht hat. Nutzer wären dann wohl überrascht, wie oft sie beispielsweise Snapchat oder WahtsApp aufrufen. Harris schlägt außerdem einen "Pause-Modus" vor, bei dem das Smartphone oder der Laptop sich mit Benachrichtigungen zurückhält, bis man eine Aufgabe in einer App erledigt hat.

Tricks gegen Sucht

Harris selbst hat sich einige Tricks beigebracht, um weniger oft auf sein Smartphone zu blicken: So hat er sämtliche Benachrichtigungstöne und Vibrationen abgestellt, außer für SMS von ihm wichtigen Personen. Sein Display zeigt auf der ersten Seite nur Apps an, deren Nutzung zeitlich limitiert ist – etwa Google Maps oder Uber. Andere Apps, die süchtig machen, beispielsweise Instagram, versteckt er in Ordnern – sodass deren Aufruf eine bewusste Entscheidung ist und nicht durch "einmal schnell anklicken" passiert. Auf Harris‘ Laptop prangt hingegen ein Post-IT mit der Frage, wofür man den Laptop wirklich verwenden wolle.

Geld statt Manipulation

Allerdings liege der Schlüssel zur Bekämpfung der Smartphone-Sucht laut Harris bei einem naheliegenden Mittel: Dem Geld. Solange Unternehmen über Daten und Verweilzeit Geld verdienen, werden sie Nutzer immer dazu manipulieren, mehr Zeit auf der Seite oder in der App zu verbringen. "Würde Facebook sieben Dollar für eine Version verlangen, die unsere Lebensweise unterstützt statt schwieriger zu machen, würden das viele annehmen", denkt Harris. So lange das nicht passiert, müssen Nutzer zur Selbstverteidigung gegen die Smartphone-Sucht greifen. (fsc, 26.11.2016)