Wertvolle Artefakte ohne Handschuhe anzugreifen ist ein Sakrileg: Tom Hanks und Felicity Jones stört das in "Inferno" wenig.

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Wien – Manchmal ist die Kunstgeschichte ein einziges Rätsel. Für manchen ist sie das immer wieder. Und für viele wird sie das immer bleiben. Für Dan Brown und seinen Helden in Serie, den Harvard-Professor und Symbolforscher Robert Langdon, stellt sie zugleich eine ziemlich überschaubare Welt dar. Hier finden nur die berühmtesten Artefakte, die bekanntesten Gemälde und die bedeutendsten Bauwerke ihren Platz. Doch alle sind sie sehr geheimnisvoll, weil sie eine einzigartige Aura besitzen, einen Platz in der Geschichte, den unsereins verzweifelt für das eigene, unwürdige Dasein sucht.

Zu Beginn der aktuellen Verfilmung von Browns Bestseller wird Langdon von Albträumen geplagt. Das sieht ganz schrecklich aus, man könnte meinen, er sei in Dantes Inferno gelandet. Tatsächlich liegt der arme, versehrte Mann aber in einem Krankenzimmer in Florenz. Außerdem leidet er an Amnesie, zum Glück erkennt er, weil kulturell gebildet, die Stadt beim Blick aus dem Fenster. Und schon geht es Schlag auf Schlag, denn Ron Howard, der nach The Da Vinci Code – Sakrileg und Illuminati bereits zum dritten Mal Brown fürs Kino verfilmt, lässt Tom Hanks diesmal ein wenig mehr laufen: Von einer falschen, aber schießwütigen Polizistin verfolgt, fliehen Langdon und eine falsche, aber hilfsbereite Ärztin (Felicity Jones) in deren Wohnung. Je mehr Erinnerungsfetzen und seltsame Gestalten auftauchen, desto klarer wird immerhin Langdons Auftrag: Er muss die Welt retten.

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Ohne Orientierung

Das Problem dieses Films ist, dass damit jedoch seine Erzählung immer unklarer wird. Langdon, eine Mischung aus dem erinnerungslosen Geheimagenten Jason Bourne und dem vergesslichen Pixar-Doktorfisch Dorie, muss nämlich in der Folge ziemlich viele florentinische Sehenswürdigkeiten besuchen, um einem milliardenschweren Superverbrecher das Handwerk zu legen, der die milliardenreiche Weltbevölkerung zu dezimieren trachtet. Den dafür nötigen Bazillus hat der Schurke in einem besonders bedeutenden Bauwerk versteckt, aber – falsch geraten! – es ist nicht Dantes Totenmaske.

Diesmal also Schnitzeljagd durch Florenz, das heißt durch den Palazzo Pitti, die Boboli-Gärten (Achtung Drohne!) und das Battistero di San Giovanni. Die Medici haben sich nicht derart empört gezeigt wie weiland der Vatikan über Sakrileg, aber Romanautor und Hauptdarsteller dürften als Zugpferde zur Kinokassa noch stark genug sein – jedenfalls für ein Publikum, das wie Brown und sein Alter Ego auch auf der Leinwand mit Akribie auf Gemälde, Zeichnungen und Buchseiten starrt, um als Erster etwas zu entdecken, was Millionen zuvor noch nicht gesehen haben. Das ist ein Reiz, der bildungsbürgerliche Träume infernalisch befeuert.

Englischer Trailer.
Sony Pictures Entertainment

Dan Browns Bücher leben bekanntlich von dieser Gaukelei. Sie wollen uns weismachen, dass wir – so wir uns brav durch sie gekämpft haben – am Ende irgendwie ein wenig schlauer sind als vorher. Dass wir es sogar mit dem Weltkulturerbe aufnehmen können und dafür das bisschen kunsthistorische Wissen, das wir noch besitzen, ausreicht. Und dass, wenn wir bei der Entschlüsselung einmal doch nicht weiterwissen, Robert Langdon im Themenpark die Orientierung nicht verliert.

Dass Ron Howard in Inferno ziemlich aufs Tempo drückt und seinen mittlerweile in die Jahre gekommenen Helden auch physisch fordert, macht den Symbologen streckenweise zum bemitleidenswürdigen Indiana Jones der bildenden Kunst. Doch selbst die verworrenste Schatzsuche findet irgendwann ihr Ende, und das ist die gute Nachricht zum Schluss: Spätestens wenn Langdons Erinnerung wieder einsetzt, ist unsere an diesen Film schon wieder verflogen. (Michael Pekler, 10.10.2016)