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Noch nur eine Protestaktion: EU-Zollgrenzen für Briten.

Foto: Reuters/Clodagh Kilcoyne

London – Britische Wirtschaftsverbände stellten der Regierung unter Premierministerin Theresa May die Rute ins Fenster. Für den Fall, dass das Land EU-Binnenmarkt und Zollunion verlässt, seien massive Konjunktureinbrüche und Jobverluste zu erwarten, warnen Investmentbanken wie Goldman Sachs und der Pharmahersteller AstraZeneca. Die Attacke zeigte Wirkung: Firmen müssen nun offenbar doch nicht, wie geplant, Listen mit den Namen ihrer ausländischen Mitarbeiter erstellen.

May hatte vorige Woche erstmals den März 2019 als Austrittstermin aus der EU genannt. Großbritannien werde zukünftig die Einwanderung aus der EU beschränken, auch wolle man nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterliegen. Da beide Positionen als unvereinbar mit dem Binnenmarkt gelten, scheint die Insel auf einen harten Brexit zuzusteuern.

Andere Äußerungen Mays und ihrer wichtigsten Minister legen eine Abkehr vom liberalen, weltoffenen Wirtschaftsmodell nahe: "Wer Weltbürger sein will, gehört nirgendwo richtig dazu", sagte May. Innenministerin Amber Rudd kritisierte Unternehmen für die große Zahl ausländischer Angestellter. Zukünftig müssten Betriebe Namenslisten ihrer EU-Arbeitnehmer erstellen.

"Tätowierungen in Unterarme"

Die Initiative der einstigen Investmentbankerin rief eine ätzende Reaktion eines einflussreichen Brexit-Befürworters hervor: Beim nächsten Mal solle die Ministerin "doch gleich Zahlen in die Unterarme nichtbritischer Arbeiter tätowieren lassen", schrieb Steve Hilton, früher enger Berater von Mays Vorgänger David Cameron, in Anspielung auf KZ-Häftlinge. Noch am Sonntag ruderte die Regierung zurück: Rudds Plan werde "nicht umgesetzt", sagte Verteidigungsminister Michael Fallon in der BBC. Finanzminister Philip Hammond betonte beim Weltbanktreffen in Washington, dass das Kabinett sich keineswegs auf den harten Brexit festgelegt habe.

Beim Austrittsprozess müssten Wirtschaft und Finanzindustrie ausführlich angehört werden, mahnte der Industrieverband CBI: Werde nicht rechtzeitig ein neues Abkommen geschlossen, würden für britische Exporte die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) gelten. Dies würde bedeuten, dass "in nur 29 Monaten" auf bis zu 90 Prozent der britischen Güter Zölle erhoben würden, führte Fairbairn in der BBC aus.

Beim Brexit beraten lassen will sich die britische Regierung nur von britischen Staatsbürgern. Ein hochrangiger Regierungsvertreter habe der London School of Economics (LSE) mitgeteilt, dass ausländische Wissenschafter beim Austritt des Landes aus der EU nicht als Berater erwünscht seien, teilte die Uni mit. Das Außenministerium erklärte, es werde weiterhin ohne Ansehen der Nationalität den Rat der besten und klügsten Köpfe suchen. Allerdings würden unter Umständen Sicherheitsfreigaben verlangt.

Das Pfund hat seit dem Brexit-Votum rund 15 Prozent an Wert verloren. Einen Schock versetzte Staatspräsident François Hollande dem Pfund mit seiner Äußerung: "Großbritannien muss einen Preis bezahlen." Ob diese das Pfund am Freitag auf Talfahrt schickte, ist offen. Finanzminister Hammond lässt den "flash crash" um neun Prozent untersuchen. (Sebastian Borger aus London, 10.10.2016)