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In der 30.000-Einwohner-Stadt Jeremie im Südwesten Haitis hat Hurrikan Matthew laut NGOs etwa 80 Prozent der Gebäude zerstört.

Foto: Reuters / Carlos Garcia Rawlins

STANDARD: Wie ist aktuell die Situation in Haiti?

Becorpi: In Port-au-Prince ist die Lage vergleichsweise gut. Für den Südwesten Haitis, das am schwersten betroffene Gebiet, ist das aktuell schwer zu sagen, weil zahlreiche Regionen noch abgeschnitten sind. Kommunikation ist nur schwer möglich, weil viele Handymasten zerstört wurden und auch das Satellitentelefon wegen der vielen Wolken nur begrenzt funktioniert. Unsere Mitarbeiter sind gerade unterwegs in das Département Nippes, sie wollen in die abgeschotteten Regionen gelangen. Weil die Straßen an vielen Punkten nicht mehr befahrbar sind, erfolgt das zum Teil zu Fuß. Aus den Gegenden, wo wir Zugang haben, wissen wir, dass nahezu alle Gebäude beschädigt oder zerstört wurden.

STANDARD: Was brauchen die Menschen derzeit am dringendsten?

Becorpi: Am dringendsten ist Trinkwasser oder Tabletten wie Aquatab, die das Wasser trinkbar machen; Hygieneartikel und Medikamente, um Epidemien wie Cholera vorzubeugen. Das ist aktuell sicher die größte Gefahr.

STANDARD: Wie viele Menschen sind vom Hurrikan betroffen?

Becorpi: Das ist schwer zu sagen, weil wir eben noch nicht Zugang zu allen Regionen haben. Das UN-Büro für humanitäre Hilfe schätzt die Zahl der Betroffenen auf die Hälfte der elf Millionen Haitianer.

STANDARD: Wie war die Reaktion der Behörden auf den Hurrikan?

Becorpi: Sie haben rasch Alarm geschlagen, die Regierung hat auch bald nach internationaler Unterstützung gerufen. Die Mittel der Behörden sind aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Landes begrenzt, aber sie arbeiten gut mit den Hilfsorganisationen zusammen und zeigen sich transparent, um nicht die Fehler wie nach dem Erdbeben 2010 zu wiederholen.

STANDARD: Die waren?

Becorpi: Einerseits hat man eine gründliche Lagebewertung nicht abgewartet, deshalb wurden viele Hilfsgüter geliefert, die gar nicht dringend benötigt wurden. Andererseits gab es eine schlechte Koordination zwischen Behörden und Hilfsakteuren. Das hat sich diesmal bislang nicht wiederholt.

STANDARD: Trotzdem ist die Infrastruktur seit dem Erdbeben mehr als desolat.

Becorpi: Das hat natürlich die Schäden vergrößert. Aber schlechte Infrastruktur gab es in Haiti auch schon vor dem Erdbeben. Es gab zwar seitdem Fortschritte, aber zu wenige, um die Schäden deutlich zu minimieren.

STANDARD: Wie ist die Stimmung auf den Straßen von Haiti?

Becorpi: Der Eindruck von mir und meinen Kollegen ist, dass die Menschen probieren, mit der Situation zurechtzukommen. Weil Haitianer das immer tun, versuchen, so schnell wie möglich wieder auf die Füße zu kommen. (Kim Son Hoang, 7.10.2016)