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Angela Merkel hat in der Causa Böhmermann einen diplomatischen und demokratiepolitischen Scherbenhaufen zu verantworten.

Foto: Reuters/Bensch

In der Böhmermann-Affäre ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Auch wenn Berlins Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch die Einstellung des Strafverfahrens gegen den deutschen TV-Satiriker Jan Böhmermann durch die Staatsanwaltschaft Mainz am Dienstag lediglich mit den Worten "Es ist alles gesagt" kommentieren wollte: Für die deutsche Regierung, insbesondere Kanzlerin Angela Merkel, ist die Angelegenheit noch längst nicht ausgesessen.

Die Staatsanwaltschaft Mainz begründete ihre Entscheidung damit, dass "strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen" waren, doch schon am Mittwoch kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan über seinen deutschen Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger umgehend Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung an.

Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu sprach gar von einem "Skandal" und einem "Armutszeugnis für die deutsche Justiz". Der in Köln aufgewachsene Erdoğan-Spezi ist deutschen Fernsehzuschauern spätestens seit einem aggressiven Auftritt bei der TV-Diskussionssendung "Maybrit Illner" nach dem Putsch in der Türkei ein Begriff.

Der diplomatische Kleinkrieg zwischen Berlin und Ankara geht also ungebremst weiter. Deutlich zeigte sich das auch beim Besuch einer Delegation des Bundestags in der Türkei. Zwar ließ Ankara nach langem Hinhalten einen Besuch der Abgeordneten bei den auf der Luftwaffenbasis Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten zu. Doch für ein Treffen mit den Parlamentariern hatte die türkische Regierung demonstrativ keine Zeit.

Die Türkei hatte den Truppenbesuch als Retourkutsche für die Armenier-Resolution des Bundestags monatelang blockiert. In der Resolution hatten die Abgeordneten die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord eingestuft. Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier waren der Abstimmung Anfang Juni ferngeblieben. Drei Monate später stellte die Regierung in einer peinlichen diplomatischen Verrenkung fest, das Votum der Abgeordneten sei eine "politische Meinung" ohne "rechtliche Bindewirkung". Mit dieser "Klarstellung" sei man einer "Bitte Ankaras" nachgekommen, erklärte der Sprecher des Außenministeriums.

Gescheitertes Appeasement

Langsam sollte Merkel klar sein, dass man bei einem Politiker vom Typus Erdoğans mit Appeasement nichts erreicht. Dabei hätte sie es in der Causa Böhmermann auch einfacher haben können. Eilfertig hatte sie im April den Beitrag des Satirikers als "bewusst verletzend" präjudiziert. Dann erteilte sie gegen den Willen des Koalitionspartners SPD die Ermächtigung zur Strafverfolgung Böhmermanns nach dem Majestätsbeleidigungsparagrafen 103 des Strafgesetzbuches, kündigte jedoch gleichzeitig die Abschaffung des umstrittenen Passus, mit dem die Beleidigung ausländischer Staatschefs unter Strafe gestellt wird, für die Zukunft an.

Aus den Bundesländern kam eine Initiative zur sofortigen Streichung des Paragrafen, die bewirkt hätte, dass die Justiz in der Causa nur noch auf Basis des regulären Beleidigungsparagrafen 185 ermitteln könnte. Doch die CDU zeigte nur Interesse an einer Aufhebung des ergänzenden Paragrafen 104a, in dem geregelt ist, dass die Regierung in jedem Fall über eine Ermächtigung zur Strafverfolgung nach Paragraf 103 zu entscheiden hat.

Nun soll die Majestätsbeleidigung offensichtlich doch rascher fallen: Das Thema wurde auf die Tagesordnung des Koalitionsausschusses gesetzt. Diese Entscheidung kommt reichlich spät.

Merkel hat in der Causa Böhmermann einen diplomatischen und demokratiepolitischen Scherbenhaufen zu verantworten. Erdoğan ließ sich vom devoten Verhalten Merkels ohnedies nicht besänftigen, der Koalitionspartner SPD wurde vor den Kopf gestoßen. Und Kritik an der brutalen Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei wird von Berlin höchstens noch unter der Wahrnehmungsschwelle geäußert.

Dabei hätte die Kanzlerin in der Affäre durchaus auch punkten können: Mit einem klaren Bekenntnis zur Meinungsfreiheit hätte sie unterstreichen können, dass Demokratie und Menschenrechte keine leeren Worte sind; indem sie Erdoğan seine Grenzen aufzeigt, hätte sie Führungskompetenz demonstrieren können. Diese Chancen hat sie vertan. (Michael Vosatka, 6.10.2016)